Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Ein völkischer Beobachter
Um das einmal klarzustellen: Mir gefällt dieses Land immer besser. Diese herrlich vitale Mischung aus links und rechts, Prantl und Pegida, Feuilleton und Leitartikel! Denn daß, zum Beispiel, das alles sehr schlimm ist für die vielen Flüchtlinge, ist das eine, sich für mehrseitige Zeitungsstrecken gerade am Wochenende Empfehlende, wenn der Bohnenkaffee dampft und man die Muße hat, einmal Anteil zu nehmen; daß es auch aber schlimm ist mit den vielen Flüchtlingen, ist das andere, das man aber heute nicht mehr sagen kann, ohne als Ausländerfeind zu gelten, weshalb es auch bloß wieder in der FAZ steht:
„Just zu einer Zeit, in der Europa kaum weiß, wie es der Einwanderung Herr werden kann, wollen die Grünen jeden automatisch zu einem Deutschen machen, der hier geboren wird, sofern sich ein Elternteil rechtmäßig in Deutschland aufhält. Wer wollte etwas dagegen sagen, schließlich kennt ja auch das klassische Einwanderungsland Amerika das Geburtsprinzip. Doch achtet das Land genau darauf, wen es hineinläßt … Zu dem mitten in der freizügigen EU gelegenen Deutschland hat aber jeder Zugang, der es auf diesen Kontinent geschafft hat. Wer dann noch großzügig die deutsche Staatsangehörigkeit verteilen will, sollte seine eigene abgeben. Denn er versündigt sich an den Einheimischen wie an den Flüchtlingen. Nein, die Einbürgerung ist der feierliche Endpunkt einer Integration. Der bodentief ideologische Vorschlag der Grünen würde wohl Flora und Fauna nicht schaden, aber das Gemeinwesen kompostieren. Schade, daß die Stasi das nicht mehr erlebt.“
„Zunächst wird doch wohl niemand das bekannte Sprichwort in Zweifel ziehen: ,Wo die Sache fehlt, ist der Schein das Beste.’“ Erasmus von Rotterdam, 1511
Wer hier meinen guten Freund Jasper am Werke wähnt, tippt falsch; richtig ist hingegen, daß Reinhard Müller den Jasper-v.-Altenbockum-Ähnlichkeitswettbewerb gewonnen hat und daß er dabei, wie das so ist bei übereifrigen Schülern, sogar ein wenig übers Ziel hinausschießt: Denn sicher achten die USA genau darauf, wen sie legalerweise ins Land lassen, aber wer illegal im Land ist und ein Kind bekommt, dessen Kind ist US-amerikanischer Staatsbürger. Zu dem mitten in der EU gelegenen Deutschland hat legalerweise nicht jeder Zugang, denn dafür gibt es die (von Deutschland mit Zähnen und Klauen verteidigte) Drittstaatenregelung, und daß Europa nicht wisse, wie es der Flüchtlingsströme Herr werden könne, ist ebenfalls geflunkert: Die Wahrheit ist, daß, wie wir in der Süddeutschen lesen, „gegen ein Quotensystem … eine solide Abwehrfront (steht), zu der auch Großbritannien und Dänemark gehören, die aber angeführt wird von den Staaten Mittelosteuropas“. Denn „Länder wie Tschechien, Kroatien und Rumänien haben sich … schlicht entschieden, dem Willen ihrer Bevölkerung entsprechend so wenig Flüchtlinge wie möglich aufzunehmen“, weil es zur schwer errungenen Freiheitlichkeit gehört, Zigeuner und Bimbos hassen zu dürfen, nicht daß die nationale Fauna durch blut- und bodenlose Ideologie auf eine Weise beschädigt werde, die die Stasi gefreut und die der Führer bolschewistisch genannt hätte.
Nachdem jetzt fast alle alten Nazis tot sind, die so gut wie sämtlich unbehelligt geblieben waren, wird jetzt noch rasch dem Auschwitzer Kassenwart (93) der Prozeß gemacht, der seinem Vaterland den letzten Dienst erweist und sich für alles entschuldigt. Im selben Vaterland zur selben Zeit will das Selbstverständigungsorgan der Bourgeoisie volksfremde Politiker ausbürgern und redet überhaupt daher, als heiße es Das Reich. Wo das Reich des Bösen bekanntlich Geschichte ist, müssen wir uns dieses Reich als das des unbedingt Guten vorstellen, und daß der Vorsitzende dieses Reichs ein neoliberaler Pfarrer ist, ist dann eine dieser Fugenlosigkeiten, die mir wirklich immer besser gefallen.
Veranstaltungshinweis: Der Autor liest morgen, 27.4., im Frankfurter Satiredorfkrug „Henscheid“ (Mainkurstr. 27), aus seinem so fugen- wie bodenlosen Roman „Putins Weiber“ (21 Uhr).
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