Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Eberts Erben
Man soll der ewig gescholtenen SPD ruhig auch mal dankbar sein, und sei’s dafür, dass sie das System zur Selbstbezichtigung anleitet: Ca. einen „Angriff auf die soziale Marktwirtschaft“ sahen CDU und CSU in dem sozialdemokratischen Versuch, mittels perspektivischer Mindestlohnerhöhung und „Respekt-Rente“ dem „Land ohne Würde“ (Die Antwort) ein ganz kleines bisschen Egalität zu verschaffen, und dass soziale Marktwirtschaft also ist, die Werktätigen bis an die Grenzen des linksliberalen Leitartikels zu verheizen, haben wir nun schriftlich. Irgendein Esel i-aahte dann noch von „Leistungsgerechtigkeit“, und man wusste wieder mal Bescheid. (Liebe Straßenbahnfahrer, Krankenpfleger und Bäckereifachverkäuferinnen mit Euren 1500 netto: Leistet einfach mehr. Oder streikt und sagt dem Esel, er soll seinen Dreck alleene machen.)
Da muss es der Sozialdemokratie guttun, wenn sie wenigstens für ihre ruhmreiche Vergangenheit gelobt wird, die vielleicht nicht mit der vielzitierten Gewährung der Kriegskredite 1914, aber doch mit dem ersten sozialdemokratischen Präsidenten Deutschlands begann: Friedrich Ebert, den die Nationalversammlung vor hundert Jahren zum Reichspräsidenten wählte, Friedrich Ebert, nach dem in ganz Deutschland Straßen benannt sind, dieweil er nämlich „Revolutionär und Präsident“ (SZ) war, für die „Neue Zürcher Zeitung“ gar ein „linker Patriot“, der die „fragile Demokratie zusammenhielt“, indem er nämlich, das lesen wir anderswo, die Revolution der Arbeiter- und Soldatenräte von den reaktionären Freikorps „zusammenschießen“ ließ (Sebastian Haffner, „1918/19. Eine deutsche Revolution“, älterer Titel: „Die verratene Revolution“), weil er die Revolution nicht wollte: „Ich hasse sie wie die Sünde.“ Und wenn irgendwas, dann macht das in Deutschland einen Deutschen zum großen Deutschen: das Vaterland vor dem Bolschewismus zu retten.
Wer die Entwicklung im bolschewistischen Russland kennt, mag finden, nach Lage der Dinge habe Ebert richtig gehandelt, als er den drohenden kommunistischen Umsturz abwürgte. Bloß: Er drohte nicht. Die KPD wurde erst 1919 gegründet, und der Spartakusbund war eine Splittergruppe. Was tatsächlich drohte, und zwar von den Massen der Arbeiter und Soldaten, nennt Haffner eine „konstitutionelle Rätedemokratie“ (also keine Diktatur) und die Entfernung der alten Verwaltungs- und Militäreliten von der Macht. Antimilitaristisch und egalitär war sie, diese deutsche Revolution, ja „gutmütig“, und von der revolutionären Umwälzung der Produktionsverhältnisse noch gar keine Rede: „Die Revolution von 1918 war kein russischer Importartikel, sie war deutsches Eigengewächs; und sie war keine kommunistische, sie war eine sozialdemokratische Revolution – genau die Revolution, die die SPD fünfzig Jahre lang vorausgesagt und gefordert, auf die sie ihre Millionen Anhänger vorbereitet und als deren Organ sie sich ihnen ihr Leben lang angeboten hatte … Das ist die Tatsache: Was die SPD blutig niedergeworfen hat …, ist keine kommunistische Revolution, sondern eine sozialdemokratische.“
„In der ganzen Naturgeschichte kenne ich kein ekelhafteres Lebewesen als die Sozialdemokratische Partei.“ Gustav Landauer, 1919
Nun mag wiederum einer finden, dass eine sozialdemokratische Revolution ein Widerspruch in sich ist (Haffner weiß es a.a.O. selbst: „Die Sozialdemokratie ist eine ehemalige Arbeiterpartei, die der Kapitalismus für seine Zwecke gezähmt hat“) und dass der „Arbeiterstaat“, den sich die Massen laut Haffner erhofften, über kurz oder lang fragen muss, wem die Fabriken gehören. Was bleibt, ist aber der (friedliche) Wille, mit jenen reaktionär-imperialistischen Zuständen zu brechen, die eben erst Abermillionen Tote gefordert hatten und deren uneingeschränktes Fortwesen Tucholsky dann beklagen wird; und dass es die deutsche Sozialdemokratie war, der Kleinbürger Ebert vorweg, die der Reaktion diesen Arbeiterwiderstand aus dem Weg geräumt hat. Um, als der Faschismus die Freikorps dann an die Regierung gebracht hatte, die Heldin zu geben.
Hier darf man ruhig was merken; und falls nicht: einfach „Ebert“ durch „Schröder“ ersetzen.
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