Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: E pluribus unum
Es gibt, das war die Maxime meines seligen Vaters, immer zwei Möglichkeiten, und die eine Möglichkeit, die Sache zu betrachten, ist natürlich die preßnotorische, die darauf angewiesen ist, daß Streitereien sich zuspitzen, idealerweise dramatisch zuspitzen: „Der Streit um den richtigen Weg in der Flüchtlingspolitik spitzt sich zu. Die CSU attackiert Merkel. Die SPD distanziert sich. Die Kanzlerin steckt im Dilemma und muß nun endlich mehr tun, als das Land zu Optimismus zu ermahnen.“ Findet, für viele, der Netz-Focus: „Es wird einsam um Angela Merkel. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer attackiert die Kanzlerin wegen ihrer Flüchtlingspolitik bereits seit einem Monat. Wenn jetzt Finanzminister Wolfgang Schäuble in Paris erklärt, es sei unmöglich, daß Deutschland in einer Woche so viele Flüchtlinge aufnehme wie Frankreich in einem Jahr, ist das nicht ausschließlich eine Kritik am westlichen Nachbarn … Doch damit nicht genug. Nun setzt sich auch der Koalitionspartner ab. Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier fordern eine Begrenzung der Zuwanderung – und damit das Gegenteil von dem, was Merkel in ihrem viel beachteten Interview dieser Woche gesagt hat. Deutlicher kann man die Botschaft vom ,Wir schaffen das’ nicht in Zweifel ziehen.“
„Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr ... und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.“ Schiller, 1804
Die andere, kritische Möglichkeit wäre freilich, das inter- (und intra-)fraktionelle Gezeter nicht als Anfang vom Ende der Ära Merkel zu interpretieren, sondern als Aufführung des Stückes „Das großkoalitionäre Deutschland in der Flüchtlingskrise“, ein Stück, das nicht nur die Pluralität simuliert, die in jenem Deutschland der Ewigen Großen Koalition eher prinzipiell als faktisch existiert, sondern auch in der konkreten Frage nach dem richtigen Umgang mit der großen Zahl Flüchtlinge dem Staatswohl ungemein dienlich ist: Während Frau Bundeskanzlerin per „Wir schaffen das“-Dekret das schönste Gesicht des Kapitalismus gibt, stänkert Horst Seehofer, um wie weiland Franz-Josef Strauß den rechten Rand zu binden: Notstand, Stacheldraht, Bundeswehr, diese Tour. Zwischen beiden: der Wirtschafts- und der Außenminister, die im Spiegel zum „Maßhalten“ (Degenhardt, Notar Bolamus) aufrufen und sich exakt zwischen Merkel und Seehofer positionieren: „Wenn sich aber die Debatte nur noch zwischen den medial zugespitzen ,Wir schaffen das’ und ,Das Boot ist voll’ bewegt, dann droht die Frage unsere Gesellschaft zu zerreißen.“ Womit alle denkbaren Standpunkte bedient wären, und das alles innerhalb der regierenden Koalition.
Es ist dabei gar keine Frage, daß der mittlere Standpunkt: „Wir können nicht dauerhaft in jedem Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge aufnehmen und integrieren“ die Debatte im weiteren bestimmen wird; Merkel sagt ja auch nicht das Gegenteil; und nicht ohne frivole Lust berichtet die Tagespresse von wg. Flüchtlingsandrang gekündigten deutschen Mietern, die aus ihren kommunalen Wohnungen fliegen. Der „Überdruß an unserem Sommermärchen“ (Gremliza) wird kommen (sofern er nicht schon da ist), und nachdem die Deutschland AG von ihrer Herzlichkeit über die Maßen profitiert hat, folgt jetzt, was sonst, der Rückzug. Und daß es ein orchestrierter ist, wird nur der überhören, der mit schrillen Tönen sein Geld verdient. (Ein Satz wie aus der Zeit; ich mache mich!)
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