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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Die Vernichtung der Sorgen

Begeisterungsfähigkeit ist nicht die schlechteste Voraussetzung für die Arbeit als Spitzenkolumnist, und wie gut also, dass mich der im Qualitätsmorgenblatt vermeldete „vorzeitige Abbruch“ des vietnamesischen Gipfels so begeistert wie die Freude des angeschlossenen Magazins über unsere „offene, bunte, sich schnell verändernde Welt“ mit nämlich Vorstadtsiedlungen, in denen sich Kinder „optimal entfalten“ können, zu schweigen von der Freude über die felsendicke Spitzenlüge nicht vom 27. April, sondern Februar: „Wenn in diesen Tagen nach einem langen Winter die Temperaturen auf bis zu 20 Grad steigen“, einem Winter, der selbst in den südlichen Schneegebieten allenfalls sechs Wochen gedauert hat und den man drum verlängern muss, damit sich in die bereits Mitte Feber vom Gute-Laune-Radio verbreitete Frühlingslaune auch kein Zweifel schleiche. Und wir reden hier von „Antenne Niedersachsen“, wo der Winter unterhalb des Harzes schlicht ausgefallen ist.

Ich bin begeistert, auch über den wunderbaren „Stern“-Titel betr. „anständig leben und nachhaltig. Im Einklang mit uns, unseren Mitmenschen und der Natur. So kann es funktionieren“, und aus dem Heft fallen dann erst einmal die „,Stern’-Reisewelten“ heraus („Nepal: Tempel, Dschungel, Himalaya“), dann das zwölfseitige „Fiat Giornale“, Ausgabe 1/19, mit dem wirklich gelungenen, weil prima nachhaltigen, das Weltverhängnis auf den Punkt hämmernden Slogan „Ciao Sorgen – hallo neuer Fiat“; und im Text selbst natürlich keine Silbe über Kapitalismus und Vernutzungszwang, sondern bloß das übliche Gequengel darüber, wie schwer es für uns Großstädter ist, immer das Richtige zu tun und nicht in Widersprüche zu geraten, wie der nächste bereits auf den Seiten 96ff wartet (Reise-Extra mit Urlaubsideen von Vietnam bis Mexiko); doch wenn wir uns schon auf die Reise in die anständige Welt machen („beginnt mit einem kleinen Schritt“!), kann ein Reiseteil nicht verkehrt sein. Mexiko-Stadt ist übrigens die „Wunderwelt der Gegensätze“, und auch über diese unausrottbarste aller reisejournalistischen Phrasen freue ich mich wie ein veganes Schnitzel, klaro!  

„Ich freu’ mich!“ Patrick Lindner, o.J.

Tatsächlich die größte aller Begeisterung löst allerdings ein Peter Dabrock aus, Professor für evangelische Theologie und Mitglied des Deutschen Ethikrats, der den Nachhaltigkeitsbeauftragten vom „Stern“ im ICE über das Ideal eines politischen Systems informiert, „in dem das Wohl der Gemeinschaft nicht einfach den Interessen des einzelnen geopfert wird. Das aber geht nur mit Kompromissbereitschaft. Wer es schafft, seine eigenen Interessen wichtigen Zielen der Gesellschaft unterzuordnen, ohne sich und seine Überzeugungen zu verleugnen, hat schon viel erreicht.“ Und vorbildlich hat sich hier laut Prof. Dabrock wer verhalten? Kommt man nicht drauf: Gerhard Schröder. „Dieser angebliche Ego-Politiker hat seine politische Karriere für die Durchsetzung der Arbeitsmarktreformen aufs Spiel gesetzt, weil er überzeugt war, dass sie dem Gemeinwohl dienten. Davor habe ich Respekt.“

In einer Welt, in der ein paar Tage Schneefall als langer und harter Winter gelten, kann bzw. muss ein „Handelsvertreter in eigener Sache“ (Oliver Maria Schmitt) – „Sein Lebensziel, die Kanzlerschaft, ist erreicht, der Rest wird sich schon ergeben“ (TITANIC 1/1999) – und Genosse der Bosse zum selbstlosen Gemeinwohltäter werden, was freilich stimmt, wenn man aus dem ICE-Fenster den deutschen Dauerboom samt bunter und offener Welt sieht und die Prekären, Obdachlosen und sonstwie Grauen nicht einmal dann, wenn man evangelischer Professor ist.

Und falls sich nun wer über das „nicht einmal“ freut: Meinen Segen (sic!) hat er. Und sie freilich auch.




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg