Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Deutschland spricht
Es fügt sich ja, kann man sagen, immer und grundsätzlich alles, und zwar ist es nicht angenehm, sich auf der aus multipel familiären Gründen unternommen Mehrstationenreise eine dicke Erkältung einzufangen, andernfalls hätte man aber im Hotel nicht kopflahm und ausführlich in den ausliegenden Regionalreklame-Magazinen geblättert und sich etwa über das so gut wie vollständig aus den Vokabeln „Trend“, „spannend“ und „Mädels“ zusammengesetzte Stadtwerbemagazin für „Remscheid, Wermelskirchen, Radevormwald, Hückeswagen“ gefreut. Bester Satz (aus der redaktionellen Werbestrecke für ein Pickup-Monster vom lokalen Renault-Händler): dass „alle Vorurteile gegenüber diesem beeindruckenden charmanten Riesen von vorgestern sind“. Wo nicht gar vom letzten Jahr.
Und weil sich eben alles fügt, lese ich im Morgenblatt, dass die Konjunktur „brummt“ und Bully Herbig neuerdings DDR-Flucht-Filme dreht, in welchen aus Herbigs früherer komischer Subversion Sätze geworden sind wie „Wir hatten einen Traum!“ und „Ich will meine Kinder nicht verlieren!“. Was aber nichts macht, denn die Konjunktur brummt nun mal aus Gründen der Freiheit, und es ist die mittelständische Wirtschaft, die uns alle am Brummen hält und die von der Freiheit profitiert zu sagen, was man will und freilich, um schlechterdings mitzuhalten, auch unbedingt muss: „Entspannte Drinks & szenige Weine … Genuss-Erlebnisse … das Genuss-Restaurant … Wohlfühlatmosphäre pur … das ist die Philosophie … Urlaub für die Sinne … das Besondere genießen … die Zukunft ist jetzt … mit der Passion, Ihnen Ihre Wünsche zu erfüllen … mit allen Sinnen genießen … altbewährte Traditionen … Kompetenz & Klasse … profitieren Sie von meiner persönlichen Philosophie … das fachkompente Unternehmen … Fachkompetenz … die raffinierten Highlights sind ein wahres Schnupperparadies! … EssensArt … der perfekte Rahmen … TOP aktuelle Hör- und Sehlösungen … die Welt mit allen Sinnen genießen … Badkultur für alle Sinne … Genussarrangements … Lassen Sie sich von der appetitlich angerichteten Theke inspirieren … ein hochmotiviertes Küchenteam … Schenken macht Freun(d)e … Kaffee-Genuss pur … Gastlichkeit für alle Sinne … Makeln aus Leidenschaft“, das wäre ja direkt mein Favorit gewesen: Makeln aus Leidenschaft! Aber die Konkurrenz schläft natürlich nicht: „Geben Sie Ihren Träumen Raum! Von einem Wintergarten geht ein besonderer Zauber aus: er weckt Gefühle, lässt träumen, setzt Bilder frei. Welchen persönlichen ,Film’ der Anblick eines Wintergartens in Ihrem Kopf auch auslösen mag … die besten Plätze sind Ihnen in jedem Fall sicher!“
„Deutschland dröhnt und droht / Deutschland stöhnt und schont / Niemand, der es bewohnt“ Begemann, 1993
Soweit „SchauinsLand – das Bergische Magazin“; doch wollen wir uns natürlich nicht darauf versteifen, dass nun die Gewerbetreibenden aus dem schönen Bergischen Land die kapitalistische Sprachlosigkeit selbst wären, wo’s noch die Vollprofis vom SZ-Magazin ja kein Jota besser können: „Jedenfalls ist es der moldauisch-österreichisch-schweizerischen Violonistin ein Bedürfnis, aus dem starren Orchesterbetrieb ausbrechen zu wollen“. Und mir desgleichen eins, mich nach einer Ladung Nasenspray ins Bett zu verfügen; denn Deutschland spricht, und ich bin krank, und dass das eine mit dem anderen zu tun hat, muss ich immerhin erwägen.
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