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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Comedian Harmonists

Seit ich nicht mehr in Frankfurt lebe und allenfalls zweimal im Jahr in Frankfurter Frühstückscafés zu sitzen komme, nehme ich die Frankfurter Rundschau ja nicht mehr wahr; aber da sich am Freitag, nachdem die Kanzlerin das Verfahren gegen Böhmermann eröffnet hatte, alle (bis auf Springer) so sagenhaft einig waren: daß dies nämlich richtig sei, geradezu „alternativlos“ (FAZ, ohne Ironie), denn „vor dem Rechtsstaat muß sich niemand fürchten“ (ebd.), denn „so ist es Recht“ (Prantl) und eine „Lektion in Rechtsstaatlichkeit“ (Spiegel online), suchte ich Halt und Rat bei der ältesten Tante des bundesdeutschen Linksliberalismus:

„Mit ihrer Entscheidung, die Strafverfolgung im Fall Böhmermann zuzulassen, haben die Bundesregierung und die Kanzlerin zwar dem Verlangen Erdogans stattgegeben, aber nachgegeben – wie einige Medien sofort behaupteten – haben sie damit keineswegs … Natürlich wird ein Rechtsstaatsverächter vom Schlage Erdogans, für den die Vorstellung einer unabhängigen Justiz so unzumutbar ist wie eine freie Meinungsäußerung, die Entscheidung als Erfolg für sich verbuchen … Ein Gericht wird nun beurteilen müssen, ob es sich bei Böhmermanns Satire um eine von der Meinungs- und Kunstfreiheit nicht gedeckte Schmähkritik gehandelt hat.“

Also noch einmal dasselbe in Rundschau-Grün, auch wenn „Politik-Autor Christian Bommarius“ not amused war, wegen Böhmermann, nicht Erdogan: „Hat Böhmermann also erreicht, was er wollte? Wenn sein Ziel gewesen ist, mit seinem Schmähgedicht Erdogan zu reizen, die Bundesregierung in eine unangenehme Lage zu bringen und seinen Namen populär zu machen, dann hat er es erreicht. Sollte seine Absicht hingegen gewesen sein, eine Debatte über die repressive Politik Erdogans, über die Not der Flüchtlinge in der Türkei, über die Bedeutung der Menschenrechte in Gang zu setzen, dann hat er es dramatisch verfehlt. Aus der Mediendemokratie droht eine Gelächterdemokratie zu werden. Der Diskurs hat ausgedient, es zählt die schärfste Pointe.“ Dramatischer, denunziatorischer Quatsch, der lieber Böhmermann zum Comedyclown degradiert, als den Diskurs anzuerkennen, der sich noch in Merkels bemüht antirepressiver Erklärung wiederfand; wie ja auch der gelernte Amtsrichter und Bildungsbürger Prantl „diese Satire Böhmermanns“ ex cathedra für „mißglückt“ hielt und seine Kollegin Luisa Seeling lediglich „krude sexuelle Anspielungen“ lesen wollte. Aber da über Geschmack nicht gestritten werden kann, ist es gut, daß sich die Angelegenheit nach oben delegieren läßt, an den so herrlich neutralen General Dr. von Rechtsstaat nämlich, der ja nicht nur Recht, sondern auch Staat ist. Das hat man hierzulande gern.

„Man muß sich nur wehren / und die Fragen stell’n / die die andern stören“ Grips-Theater, 1973

Einen ganz ähnlichen Prozeß hat TITANIC vor zwanzig Jahren gegen den Lügner Engholm haushoch verloren, und auch wenn das bis an die Grenze des Ruins teuer war, gehört es doch zur satirischen Bemühung, sich Gegner zu verschaffen, zumal stärkere. Das ZDF, dessen „Qualitätsanspruch“ Böhmermann doch eigentlich verletzt hat, hat ihm jetzt juristische Rückendeckung „durch alle Instanzen“ zugesichert, und was ihm schon geglückt ist, ist die Abschaffung des Paragraphen 103, der, nebenbei, mit dem Ermächtigungsvorbehalt genau jene Gewaltenteilung verletzt, die der Rechtsstaat dem Erdogan doch unter die Nase reiben will.

Da müßte sich auch Böhmermanns Anwalt freuen; statt dessen ist er beleidigt. Gerade weil die Entscheidung Merkels nicht alternativlos, sondern bloß Politik war – wo sie den Paragraphen schon abschaffen will, hätte sie das per Nicht-Ermächtigung vorwegnehmen können, eine Einmischung ist es so oder so, und die Privatklage Erdogans ist in jedem Fall anhängig –, ist die weinerliche Haltung nicht zu verstehen, die die „absolute Wirkungslosigkeit von Satire“ (Martin Sonneborn) als wünschenswert vorauszusetzen scheint und gleich jammert, wenn sich eine deutsche Regierung, wie nach dem „Extra 3“-Filmchen, nicht sofort schützend vor „ihre“ Künstler stellt. 

Die Entscheidung Merkels „so traurig und so unendlich dumm“ (Kalkofe)? Nein: Das ist der dunkle Grund, auf den Satire angewiesen ist. Alles andere ist dann wirklich Comedy in harmony. Springer hat’s verstanden.




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg