Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Büro, Büro
Es ist ja gar nicht so, dass alles nur dumm wäre, und man darf und soll ruhig Augen und Ohren offen halten für das Schöne, ja Numinose, das im Kot des Alltags um so tröstlicher leuchtet.
Ob sie „bereit und auch willens“ wäre, Kanzlerin zu werden, frug Slomkas Marietta Annegret Kramp-Karrenbauer am 7.11. d.J. im Heute-Journal, und Annegret Kramp-Karrenbauer sagte nicht einfach ja. Sie sagte: „Also wenn man sich um den Vorsitz der CDU Deutschlands, der größten Volkspartei in Deutschland bewirbt, dann ist das natürlich explizit immer auch sozusagen mit der Tatsache verknüpft, dass man eines Tages in diese Rolle kommen kann. Aber, in Deutschland ist es so und das ist richtig so, es entscheidet der Wähler, es entscheidet die Wählerin, darüber, wer Kanzlerin oder wer Kanzler wird. Die Aufgabe einer Parteivorsitzenden ist es, gemeinsam mit den Verantwortlichen dafür sorgen, dass die Partei inhaltlich, organisatorisch, personell so aufgestellt ist, dass sie, wann immer Neuwahlen sind, mit wem immer Neuwahlen sind, ein so gutes Ergebnis erreicht, dass sie überhaupt in die Verlegenheit kommt, über eine Nachfolge von Angela Merkel dann nachzudenken.“
Eigentlich sind ja alle drei spitze: Merz, weil er das hässliche Gesicht des Kapitalismus ist und es wirklich interessant wäre zu sehen, wie ein Alphamann aus der altbundesrepublikanischen Mottenkiste den postdemokratischen, vertwitterten Laden auf Trab bringt; Spahn, weil das Gruselmonster Spahn als Kanzler so was wunderbar Wahnsinniges wäre; und eben „AKK“, weil sie Merkel ohne deren ästhetische Qualitäten ist, also gar nichts.
„Dann heirat’ doch dein Büro, / dann heirat’ doch dein Büro / stell dir ein Bett dort hinein / und schlaf mit Akten und Computern ein“ Katja Ebstein, 1980
Merkel hätte in ähnlicher Situation auch nicht einfach ja gesagt. Sie hat vermutlich außerhalb eines Standesamts noch niemals einfach ja gesagt; sie hätte vermutlich begonnen mit „Dazu muss man wissen“ oder, jovial, „Ach, wissen Sie“, und dann wäre es womöglich gleichfalls weitergegangen mit etwas, was immer auch sozusagen mit der Tatsache verknüpft ist. Aber man hätte seinen Spaß daran haben können, so wie man an Lübke (gemeinerweise) seinen Spaß haben konnte. Merkel war, wie Kohl, der trost- und gnadenreiche Ausblick ins Vorsprachlich-Naturhafte, ins Kalmierend-Erlöse letztlicher Sinnzersetzung, war schopenhauerhafte Weltüberwindung in der Suspendierung des Erkenntnisvermögens; oder wenigstens Bachtinscher Karneval. Was AKKs Sprechwerkzeuge produzieren, ist bloß und immer noch Mitteilung, und zwar bürokratische, ist das Aufsagen als Nichtsagen, Unnatur im Subjekt, eine Materialschlacht ums Minimum.
Merkel, das war in den besten Momenten Dada, war De- als Rekonstruktion; AKK, die tatsächlich als Paraphe geführt werden will, ist die ewige Wiedervorlage und die Widerlegung der strukturalistischen Idee, dass Bedeutung sich aus dem ergibt, was notwendig ungesagt bleibt. Denn nichts bleibt ungesagt, wenn soviel mehr gesagt wird, als nötig wäre, und nichts falscher, als auch hier den Kleistschen Gliedermann zu sehen, dessen Bewusstlosigkeit jenes Paradies ist, aus dem uns Merkel huldvoll winkte. Der Marionette eignet ja noch Menschliches, indem keine ihrer Bewegungen genau absehbar und, mäße man nur ganz genau, sogar einzigartig ist. AKK dagegen ist das, von dem man weiß, dass es kommt, und dann kommt’s.
Falls nicht doch eher Merz kommt.
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