Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Britannia rules
Ich will mich in meinem Alter nicht mehr an neue Landkarten gewöhnen müssen, und deshalb war ich erleichtert, daß die Schotten britisch bleiben und das umrißästhetisch einwandfreie Vereinigte Königreich nicht einfach oben abgeschnitten haben; und je weniger Volk, Nation, Scholle, Grenze, Brauchtum, desto besser. Denn die Konzentration aufs Heimatliche, Eigene, Lokale ist immer eine exkludierende, verengende, im Marxschen Sinne idiotische, selbst wenn die Heimat eine atomwaffenfreie ist, und nichts kennzeichnet die völlig arretierte Landlust-BRD besser als die regierungsamtliche Erlaubnis, zu Kfz-Kennzeichen zurückzukehren, die im Zuge irgendwelcher Gebietsreformen jahrzehntelang so verschwunden waren wie die zugehörigen Landkreise; wie die wilde Bereitschaft der Leute, sich mit solcherlei heimattümelnden Possen auch noch den letzten Schneid abkaufen zu lassen, was Deprimierendes hätte, wären über den Stand des gesellschaftlichen Fortschritts hierzulande auch nur die geringsten Illusionen möglich.
Britannien bleibt nun also, was es war, und aus Zufall oder Timing rezensiert die Morgenzeitung den „Leitfaden für britische Soldaten in Deutschland 1944“, der in deutscher Übersetzung zum Bestseller geworden ist, und zwar obwohl lt. Vorwort eine „unglaubliche demokratische Zivilisiertheit“, „demokratisches Selbstbewußtsein“ und „selbstverständliche Humanität“ daraus spricht. „Eine britische Besatzung wird nicht von Brutalität, aber auch nicht von Nachgiebigkeit geprägt sein“, heißt es wirklich selbstverständlich, und: „Bleiben Sie anständig und gerecht, aber werden sie nicht weich.“ Denn: „Wenn die Zeiten für die Deutschen hart sind, sind sie selbst dafür verantwortlich. Den unschuldigen Menschen der Länder, die sie besetzt hatten, haben sie es noch viel schwerer gemacht.“ Britischer kann man es nicht sagen; und wiederum ein Zufall, daß mir die Edition Tiamat Ingo Müllers neu aufgelegtes und erweitertes Buch „Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit der deutschen Justiz“ auf den Tisch gelegt hat, das diese Zivilisiertheit im Kontrast noch ein bißchen gütiger strahlen läßt.
„Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“ Filbinger, 1978
Denn was immer man zu wissen glaubte über deutsche Richter, Staatsanwälte, Rechtsprofessoren, die so gut wie ausnahmslos und eilfertig, meist sogar begeistert an der hemmungslosen Ent-Rechtung in der großen Zeit mitgewirkt haben: es war noch schlimmer. Noch das bißchen Recht, das übrig war, haben großdeutsche Richter gebeugt, und keine windige Konstruktion, keine „Unverschämtheit“ (Müller) war ihnen zu peinlich, wenn nur das Todesurteil für Rassenschande, eine flapsige Bemerkung oder ein geklautes Ei dabei herauskam, zu vollstrecken selbst an halben Kindern und bis über die Kapitulation hinaus, was nach dem Krieg dann plötzlich Widerstand war und jedenfalls nichts, was glänzenden Karrieren irgendwie hinderlich gewesen wäre, zumal es ja noch immer wider den Bolschewismus ging. Und also mußten Kommunisten unter Adenauer wieder ins Gefängnis, während die allermeisten Nazis, freigesprochen von Nazirichtern, gedeckt von den vielen Nazis im Bundestag, ihren Arsch schon wieder an der Heizung hatten.
Die vorbildliche Vergangenheitsbewältigung, mit der sich das Vaterland heute in aller Welt dicktut, hat vor (west-)deutschen Gerichten jedenfalls so gut wie überhaupt nicht stattgefunden, und wenn es irgendwann keine alten Nationalsozialisten im öffentlichen Dienst mehr gab, dann weil sie in Pension waren. Wo die britischen Sieger sich darauf verpflichteten, anständig und gerecht zu bleiben, ließ die Rechtsnachfolgerin des besiegten Reiches die Unanständigen und Ungerechten, die promovierten Schweine und kultivierten Mörder jahrzehntelang in Amt und hohen Würden. Beides bleibe unvergessen, trotz Thatcher da und Grins-Gauck hier.
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