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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Bilanzen

Gut möglich, daß es nur mir so geht, aber etwas zwingt mich, noch dann mit den Verfolgten zu sein, wenn es sich um Schufte handelt. In Ken Follets Spionageromanklassiker „Die Nadel“ fiebere ich wie selbstverständlich mit dem Nazispion, denn er ist der, hinter dem sie her sind, und hätte sich Barschel damals auf die Flucht begeben, ich wäre für Barschel gewesen, umständehalber. Vielleicht, weil wir immer auf der Flucht sind; und Träume ja auch immer so gehen, daß man verfolgt wird, und nie, daß man verfolgt.

Verwandter Mechanik mag es sich verdanken, daß mir Sigmar Gabriel plötzlich leid tut, obzwar ich mal beifällig den Kabarettisten Max Uthoff zitiert habe, er, Uthoff, würde in jedem Fall die Straßenseite wechseln, um mit Gabriel nicht den Fußweg teilen zu müssen. Und trotzdem ist da nun einer vor der Zeit beruflich am Ende, und zwar nicht seiner Politik wegen, die bald gegen faule Griechen, bald wider Israel löckte, sondern weil er seine Klappe einmal zu oft aufgerissen hat. Ein Spruch weniger, und Gabriel hätte die nächsten vier (oder acht) Jahre in der Welt herumfliegen und als Mann von Renommee in den Ruhestand gehen können.

Selbst für einen solch trainierten Verdauer muß das eine Herausforderung sein, zumal der Sozialdemokrat Gabriel dasselbe Problem hat wie meine Lieblingscharge Maybritt Illner, der stets ein stilles Entsetzen darüber im Gesicht klebt, mit welch komplettem Irrsinn („Maybritt Illner“) sie ihre Tage hinbringt, die aber mit dem Irrsinn nicht aufhören kann, weil sie ja bloß solange da ist, wie der Irrsinn anhält. Dreißig Jahre, schrieb Gabriel in seiner Abschiedserklärung, habe er dem Land und der Partei gedient, und in seiner letzten Woche als Außenminister stand in der Zeitung, daß Hartz-IV-Kindern in Deutschland 2,77 Euro am Tag für Lebensmittel zustehen, während in den Ballungszentren, sagt eine Studie, Privatschulen wie Pilze aus dem Boden schießen und im Verein mit immer mehr Höchstbegabungsinstituten dafür sorgen, daß der Auslesedruck nicht nachläßt. An anderer Stelle war zu lesen, daß die Bildungs-, Aufstiegs- und Verdienstchancen sogar noch am Großelternhaus hängen, und daß der legendäre deutsche Sozialstaat ohne Tafeln nicht liefe, ist auch keine Neuigkeit.

„Da lebe ich und lebe – aber wozu?“ Platonow, 1926/27

Man wird ja selbst dereinst Bilanz ziehen müssen, und sie wird bestenfalls durchmischt sein; aber dreißig Jahre SPD, und am Ende steht Klassenkampf in ungekannter Härte, da bin ich noch King. In Zeiten, wo Hunderttausende aus Syrien und sonstwo fliehen, soll man, in seinem warmen Arbeitszimmer sitzend, sowenig sagen, man sei auf der Flucht, wie daß vorm Fenster Krieg herrsche, wenn die Panzer im Viertel noch Alufelgen haben. Doch als Bilanz eines sozialdemokratischen Frührentners ist die Befreiung Deniz Yücels aus despotischer Haft zwar mehr als nichts, aber zu wenig, um nicht finden zu müssen, daß, wo man selbst nicht bleiben kann, rein nichts geblieben ist.

Aber was rede ich. Eben schickt mir die Edition Tiamat den zehnten als ersten Band der Wolfgang-Pohrt-Werkausgabe, und kaum blättere ich hinein, lese ich wieder den halb sarkastischen, halb belustigten Text über den „Linksradikalismus im Sozialstaat“ als „Revolution am Schreibtisch“, für die man „sogar Geld“ bekommt“, „solange jedenfalls, wie elegant formulierte Kapitalismuskritik ein Spaß für aussterbende Bildungsschichten bleibt“. Da ist es tröstlich, daß das keinesfalls der Gipfel der Sinnlosigkeit ist; aus dem Wirtschaftsteil: „Seit gut 100 Tagen steht die ehemalige Opel-Marketingchefin Tina Müller (,Umparken im Kopf’) an der Spitze von Douglas. … Tina Müller wechselte, kaum angekommen, das Top-Management aus, rekrutierte neue Leute, vor allem Frauen. Eine Videobotschaft an die Mitarbeiter zeigte sie dann kurz vor Weihnachten, wie sie in einem mit Douglas-Tüten vollgestopften Opel Adam durch Düsseldorf kurvte, dazu ,Last Christmas’ hörte, mitträllerte und versprach: ,Bei der Filiale, die das beste Weihnachtsgeschäft macht, steht bald der Adam vor der Tür.’ Sie schleuste auch ihre Mutter als Mystery-Käuferin in eine Douglas-Boutique, um sie sozusagen als verdeckte Ermittlerin herausfinden zu lassen, ob die Verkäuferinnen die Kundinnen auch wirklich so lächelnd umgarnen, wie sie, die neue Chefin, das vorgegeben hat“ (SZ, 8.3.).

Eine Frau mit Zukunft; sie ist danach. (Die Zukunft. Die Frau aber auch.) – Elegant formuliert, das muß ich mir lassen.




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt