Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Augen auf und durch
Eine Erkältung ist eine Erkältung ist eine Erkältung, aber ein Schnupfen, den man sich auf der Beerdigung der Oma zugezogen hat, und der die halbe Kita-Bronchitis, die einem seit Wochen auf die Nerven fällt, aufs lästigste ergänzt, ist erst recht nicht dazu angetan, zum „Fest“ (Gauck) und folgenden Jahresende mehr zu hoffen als ohnehin angezeigt; zumal wenn einen die Morgenzeitung ja ebenfalls noch behelligt: „Die Aktienwerte von Firmen mit Kuba-Bezug sind drastisch in die Höhe geschnellt“, und es ist natürlich schon ein wenig niederziehend, daß die eigenen erzieherischen Bemühungen so überhaupt nicht fruchten; sondern alles und jeder ständig blöder wird. Und so elend formatiert und dummforsch daherquatscht, daß wir uns einen Sack kaufen wollen und hineinhauen. „Martin Wiselksi, Direktor am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell, findet die Beobachtung der amerikanischen Kollegen ,ziemlich spannend‘“, okay; bzw. immerhin nicht drastisch spannend, auch wenn das, traun, noch kommen wird.
Daß man „immer weiter“ machen müsse, war/ist die Überzeugung so unterschiedlicher Denker wie Oliver Kahn und Theodor Adorno, und wir tun es schon deshalb, weil wir nichts anderes gelernt haben und (angeblich) glückliche Menschen sind, weil wir dieses täglich dicker werdende Brett bohren dürfen, und weil wir glauben, es schuldig zu sein, der Vernunft, der Redlichkeit, aber auch den Abgehängten und Ausgebeuteten und Angeschmierten, von denen uns allenfalls ein Buchvertrag und Omas klein Häuschen trennen. „Solidarität ist keine Moralfrage“, schreibt der kommunistische Schriftsteller Dietmar Dath. „Solidarität ist statistischer Egoismus. Aus diesem Grund muß man sie herstellen, auch wo ihr Ziel unerreichbar scheint.“
„Aber nur weil etwas sehr schwer oder unwahrscheinlich ist, heißt das noch nicht, daß es zum gewollten Ziel – dem Sozialismus – einen anderen Weg gibt als eben den schweren und sehr unwahrscheinlichen.“ Dath, 2014
Es ist leicht, an derlei nicht mehr zu glauben, weil ja alles weg ist, revolutionäres Bewußtsein, die Arbeiterklasse, auch nur eine Idee von Sozialismus, und die Kritische Theorie, die ja so etwas wie ein großes melancholisches Kopfschütteln ist, hilft allemal, sich im Verhängnis mit Kfz und Bausparvertrag einzurichten. Muß man nicht, sagt Dath, dessen Bewunderung für den Genossen Lenin Pessimismus zuverlässig verhindert: Natürlich gibt es die Arbeiter noch, Bewußtsein läßt sich ändern, und es gibt auch noch eine Idee von Sozialismus/Kommunismus, gerade jetzt, wo für die Bedarfsmessung, Produktion und Verteilung doch Rechenmaschinen zur Verfügung stehen. Lest die Klassiker, es steht alles drin, aber macht nicht den Fehler, die Massen mit den Klassikern zu nerven, „lieber Forderungen stellen, statt Weltanalysen zusammenkochen, lieber auf Evidenzen herumreiten, bis es wehtut, statt Wahrsagerei betreiben.“
Wiederum leicht, das für aussichtslos zu halten, bei allem, was man über Kulturindustrie weiß (und was das Monsterhirn Dath, versteht sich, viel besser weiß); „Gegenmacht aufbauen“, du liebe Güte, mit wem denn? Und gegen Bild und Glotze? Was bleibt uns übrig: „Redet mit der Technikerin in der Riesenkläranlage, redet mit der Gynäkologin am verarmten Stadtrand, redet mit dem Call-Center-Studenten, redet mit dem Lebensmittelpacker und seiner Kollegin aus dem Gefrierbataillon, redet mit der Saatgut-Chemikerin, redet mit dem Leichtmaterialbaumalocher, mit der Truckerin, mit dem Reinigungsdienst in der Kühlabteilung des Großrechenzentrums. Zieht sie auf die richtige Seite.“
Also reden und schreiben wir weiter, der Schnupfen geht vorbei, und solange noch solche Bücher wie „Klassenkampf im Dunkeln. Zehn zeitgemäße sozialistische Übungen“ (konkret texte) erscheinen, wollen wir den Mut nicht verlieren.
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