Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Auf Wiedervorlage
Eigentlich will ich keinen Ärger; aber was wird sein, wenn der Junge irgendwann mal Geschichtsunterricht hat? Unterstellt, das Geschichtsbild der Morgenzeitung ist das offizielle, muß er, geht’s um die Note und nicht um die Wahrheit, den Warschauer Pakt als Aggressionsinstrument verteufeln, „mit dem sich Moskau die Vorherrschaft über Osteuropa sicherte“, eine Vorherrschaft, die ihren Grund in sich selbst hatte, Macht um ihrer selbst willen, wie Orwell das, ein Jahr vor Gründung der Nato, so schön antiöstlich formuliert hatte. Im besten Falle kriege ich die Klausur nicht mit, denn ein Querulant, der Lehrkräften besserwisserische Briefe schreibt, will ich nicht werden.
Lahme Erkenntnis, Geschichte sei immer Geschichte der Sieger; aber immerhin ist Wilfried Loths altes Buch „Die Teilung der Welt 1941–1955“ noch lieferbar und nach wie vor nützlich, wo es schon wieder um Moskaus Aggressionsneigung geht, die aber auch unter dem Nationalisten Putin strukturell eine defensive ist. „Den entscheidenden Anstoß zur Eskalation des Konflikts“, des ersten Kalten Kriegs, „gaben die USA, indem sie die Sowjetunion die Anerkennung der implizit schon zugestandenen Sicherheitszone verweigerten; und sie waren es auch, die, strukturell und in ihren Machtmitteln ihrem Gegenspieler ständig weit überlegen, den Konfliktverlauf stärker bestimmten als jede andere Macht.“ Loth ein Chruschtschow-Versteher? Nein; einer, der weiß, was ein Interesse ist, was eine Einflußsphäre und was eine politische Dynamik, und der also „das Unvermögen der USA“ beklagen kann, „sich mit den imperialistischen Formen sowjetischer Interessensicherung in Osteuropa abzufinden und die tatsächlichen Zielsetzungen sowjetischer Politik wahrzunehmen“, nämlich ein Glacis zu schaffen, eine Wehrgrenze möglichst weit westlich.
„Denn es bleibt gewiß, daß jede Veränderung Wirkung einer andern ist, da Dies a priori fest steht: nur folgt sie nicht bloß auf die einzige, die ihre Ursache ist, sondern auf alle andern, die mit jener Ursache zugleich sind“. Schopenhauer, 1847
Moralisch kann man problemlos finden, Rußland habe auf der Krim und im Osten der Ukraine nichts verloren; funktional ist es so, daß Rußland immer dann mobilmacht, wenn ihm die Nato auf die Pelle rückt. (Ein Abwehrreflex aus napoleonischen, vor allem aber großdeutschen Zeiten.) Die Frage nach der Henne und dem Ei ist ja eine alte, aber wer war zuerst da: die Idee, die Nato/die EU/der Westen könne in Georgien und der Ukraine übernehmen, oder jene, das nicht zuzulassen? Ein Blick auf die Landkarte genügt, um zu sehen, was Nato-Mitgliedschaften Georgiens und der Ukraine für Rußland bedeuten; das läßt sich mit denen der baltischen Staaten oder Polens überhaupt nicht vergleichen.
Die laut sowieso geneigter FAZ gleichwohl einen russischen „Blitzkrieg“ fürchten, also einen Überraschungsangriff auf Nato-Territorium. Das wäre der Bündnisfall und vermutlich der Dritte Weltkrieg. Wenn ich das weiß, gibt es keinen Grund anzunehmen, Rußland wisse das nicht; aber der böse Russe ist ja auch fürs Selbstbild nicht unnützlich, für das der Deutschen sowieso, aber auch das der Balten, die sowjetische Denkmäler des Großen Vaterländischen Krieges schleifen, aber den eigenen Widerstand an der Seite von SS und Wehrmacht glorifizieren. Und von den polnischen „PiS-Nelken“ (Gremliza) will ich mir grad auch nichts über autoritäre Regime erzählen lassen.
Wer das in seine nächste Geschi-Klausur übernehmen will, bitte; aber, versteht sich, auf eigene Gefahr.
PS. Eben will mir scheinen, ich hätte das so ähnlich bereits aufgeschrieben. Tja. Hat es was genützt?
◀ | Die skurrilsten Angebote der Buchmacher fürs EM-Finale | Beate Uhse AG gerettet? | ▶ |
Newstickereintrag versenden…