Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: An der Grenze
Das Auffällige an dieser meiner Arbeit ist, wie unoriginell sie sein kann, und zwar, weil Originalität schlicht nicht nottut. Was mir zu den amüsanten Abgasgaunereien des VW-Konzerns (und höchstwahrscheinlich anderer) eingefallen ist, ist auch der Kundschaft der ja durchaus nicht überragend schlauen Süddeutschen Zeitung aufgefallen: „Es ist schon erstaunlich, daß der Aufschrei nach Bekanntwerden der manipulierten Abgaswerte von Dieselfahrzeugen so groß ist. Wie sieht es denn mit den … Verbrauchswerten aus? In der Praxis werden die Angaben zum [V]erbrauch … um rund ein Drittel überschritten. Hieran scheinen jedoch weder die Käufer noch die Medien Anstoß zu nehmen.“ – „In Deutschland tanzen die Politik und die Umweltbehörden nach der Pfeife der Autoindustrie … Die Grenzwerte für den CO2-Ausstoß wurden nach ihren Wünschen festgelegt. Ist es bei so viel legalisierter tricksender Gestaltungsfreiheit verwunderlich, daß … VW-Manager glauben, sie könnten mit US-Umweltbehörden und den politisch Verantwortlichen genauso verfahren wie mit den deutschen … ?“ – „… wundere ich mich über diejenigen, die sich in aufgeregter Weise erstaunt zeigen ob der üblen Machenschaften der Automobillobby. Seit Jahrzehnten gewährt man diesem Goldenen Kalb der Deutschen, insbesondere durch die Politik, absolute Narrenfreiheit.“ Usw.
„Die Beispiele von Ehrlichkeit, denen man in dieser Welt begegnet, sind ebenso erstaunlich wie die Beispiele von Unehrlichkeit.“ Ford Madox Ford, 1915
Bzw. wohl wahr; und wird aber auch die SZ nicht müde zu unken, das Wohl und Wehe der „deutschen Wirtschaft“ insgesamt stehe auf dem Spiel, weil bekanntlich jeder siebte deutsche Arbeitsplatz am Automobil hängt; und möchten wir uns wiederum erkundigen, ob die Frage nach irgendwelchen Stickoxiden und der Sauberkeit sog. „Clean Diesel“-Fahrzeuge nicht sowieso falsch gestellt ist, wenn die Stick- und vielen anderen Oxide, die bei der Herstellung eines solchen Ökoautos anfallen, gewohnheitsmäßig unter den Tisch fallen. (Verbraucht ein Neuwagen zwei Liter weniger als der alte, muß er 200 000 Kilometer zurücklegen, bis der Energieeinsatz bei der Produktion wieder drin ist.) Die Grenzwerte, um die sich VW (nebst höchstwahrscheinlich vielen anderen) herumgeflunkert hat, gaukeln eben jenen „nachhaltigen“ Konsum vor, den es in kapitalistischer Großwirtschaft nicht geben kann: Wird im Auto, zum Beispiel, Aluminium verbaut, damit es leichter werde, ist dieser Vorteil da, wo das Aluminium unter eminentem Energiebedarf und Schadstoffausstoß geborgen und produziert wird, längst zunichte geworden. Davon steht in der Motorpresse freilich nichts, und davon schweigt ausnahmslos jeder Politiker, der über die IAA spaziert und die „tollen Autos“ (Gabriel) lobt.
Der „gigantische Betrug“ (SZ) steckt mithin eher da, wo die Begriffe „Auto“ und „sauber“ miteinander vermählt werden. Das Auto (wie das jährlich frische Smartphone, nebenbei, auch) ist per se ein Schädling, und wer Auto fährt, weil er's gern tut, weil es praktisch ist oder aus aus sonst irgendeinem wichtigen Grund, der muß das so akzeptieren, wie daß für sein Salamibrot ein Schwein vergast wird. Daß VW (auch im strafrechtlichen Sinne) betrogen hat, ist das eine; daß die Rede von „nachhaltiger Individualmobilität“ der viel größere, folgenschwerere Betrug ist, das andere; und das dritte, daß, kommt man aus dem Urlaub zurück und überquert die Bundesgrenze, auf der Stelle die pathologische, mörderische Raserei übermotorisierter Kranken-Wagen wieder angeht. Wird das nicht abgestellt (oder wenigstens nach Kräften behindert), ist jeder Grenzwert für einen 400-PS-Touareg nur Augenwischerei und jeder Trick, ihn einzuhalten, bloß emblematisch. Wo nicht gar ehrlich.
◀ | Todesstrafe bizarr | Chaos in Berlin | ▶ |
Newstickereintrag versenden…