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Deutschland spricht sich aus

Jeder muss immerzu reden – so geht Demokratie, so steht es im Grundgesetz und so will es auch das Konzept von "Deutschland spricht". Der Initiative deutscher Medien für den totalen Dialog. Wir haben zwei Männer getroffen, die sich selbst noch nie zuvor gesehen haben. Auf ein Gespräch im Bordbistro, auf ein Bier am frühen Nachmittag, auf einen Blick in die Herzen Deutschlands. Das Motto: Gemeinsam irre, statt einsam kirre – Deutschland nach vorne labern!

Zwei Männer, beide gleich alt (51). Der eine heißt Rainer Witzel und kommt aus Dortmund, der andere Frederic Breuninger, wohnhaft in Frankfurt. Witzel ist Fliesenleger seit frühester Jugend und wünscht sich weniger Ausländer auf deutschem Plattenboden. Breuninger ist Anlageberater und macht sich große Sorgen um die Zukunft unseres Geldes. Breuninger werde das Gefühl nicht los, dass um die wahren Probleme absichtlich herumgeredet wird. Dabei brodle die Suppe längst über: "Die Welt steht in Flammen, jeder kämpft gegen jeden, und im Mittelmeer ertrinken Menschen. Trotzdem bleiben die großen Gewinne aus!" sagt er. Deswegen werde er bei der nächsten Wahl auch was Radikales wählen, das die Wirtschaft ordentlich "nach oben fickt", wahrscheinlich grün.

Witzel weiß weder Antwort noch Gegenfrage, bestellt sich aber noch ein Weizen und erzählt, dass er früher für das Geld eine ganze Palette Karlsquell bekommen habe. Das gebe einem schon zu denken. "Welches Geld?" will Breuninger wissen, der gerade nicht zugehört hat. "Hä?" fragt Witzel und ist auch schon wieder woanders. Beide nehmen einen großen Schluck. Breuninger nickt mitfühlend. Zwei Männer aus zwei Welten, dennoch scheint da etwas zu sein, das sie verbindet. Eine gemeinsame Heimat, eine gemeinsame Wut, ein gemeinsamer Durst. Durst nach Veränderung. "Prost!" sagt Breuninger und stößt mit einem Bitburger aus der Flasche an.

Hässlich wie die Nacht

"Ich habe Angst davor, dass Diesel teurer wird", wird Breuninger im Verlauf des Gesprächs sagen. Überhaupt ist die Angst etwas, das ihr Denken eint, auch wenn die Sprache stockt. Beide wissen erst einmal nicht recht, wie sie sich verhalten sollen. Reden auf Knopfdruck. Rauslassen, was da drin ist, sich angestaut hat. Witzel ist der Erste, der die Mauer des Schweigens durchbricht: "Weissu, das geht mir so am Arsch alles …", sagt er und knallt Glas Nummer drei auf den Tisch. Breuninger nickt wie ein richtiger Gesprächspartner, so habe er es im Seminar "Empathie und Management – wieviel Gefühl braucht Leadership?" gelernt, verrät er später.

Draußen fliegen die Masten der Windräder vorbei. "Hässlich wie die Nacht", hickst Witzel. Breuninger sagt, dem liege ein ideologischer Wahnsinn zu Grunde. Aus Selbsthass würden die Deutschen die Fußfessel Umweltschutz tragen und stolz als letzter durch das Ziel im großen Cashgame humpeln. In Amerika gebe es das nicht. Das ist das Stichwort. "Trump ist ein Idiot!" stellt Witzel jetzt als These in den Raum. Breuninger gibt ihm recht. Man kommt sich näher. "An sich sei der Amerikaner sowieso ein Idiot", meint Breuninger. Jetzt nickt Witzel und Runde vier wird von der Kellnerin an den Tisch gebracht. Witzel bestellt gleich die Nächste. Sicherheitshalber, und damit sie, die Kellnerin, später weniger Arbeit habe. 

Weißwein und Chips

"Wenigstens gutes Internet gibt's in Amerika", sagt Breuninger, als er versucht, sich im ICE-W-Lan auf "Tichys Einblick" einzuwählen. Wütend gibt er auf, ruft die Kellnerin durch den Wagen noch einmal zurück an seinen Platz und bestellt einen Weißwein obendrauf. Der ICE rast jetzt mit 102 km/h an verlassenen Dörfern vorbei. Breuninger geht zur Toilette, kommt wieder und zeigt sich begeistert: Im Klo habe jemand eine Packung Chips liegen lassen, er legt sie auf den Tisch. Freudig greifen die beiden herein. Man spricht über Glück und Schicksal. 

Die Sonne geht langsam unter, am Fenster zieht flaches Land vorbei. Auch Breuninger kommt mehr und mehr in Fahrt. Und das, obwohl er mit dem Rücken zur Fahrtrichtung sitzt, wovor er anfangs Angst hatte. "Uargh, ach, hööör mir aufff", sagt er, als Witzel das Thema "Merkel" anspricht. "Ganz gennuaaa, mein Freund!" bestätigt Witzel und tätschelt Breuningers Händchen. Breuninger ist geschafft und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Auch Witzel döst immer wieder weg und schreckt kurz darauf mit einem grellen "Huach!" auf. 

Wieder kommt die Bedienung, bittet uns, ruhig zu sein, die Fahrgäste fühlten sich gestört. "Hwasssnnjetz?" argumentiert Breuninger von der Kraft des Dialoges beflügelt. Doch die Bedienung muss weiter arbeiten. Reden ist Luxus, stellen wir gemeinsam fest. "Hmpffr!" stimmt Witzel zu. "Amphhff", keucht Breuninger und fährt sich einstimmend durch die wirren Haare. Dann ist es so weit: Der Zug hält, man steigt aus. Geschafft seien sie, versichern beide. "Dubss echin Ordnung!" sagt Witzel. "Du auch, Wixel! Du biss auch gudd!" Vielleicht war das hier ja der Beginn von etwas ganz Neuem. Darüber müsste man dann noch mal gesondert sprechen.

Fabian Lichter

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt