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Dax Werners Debattenrückspiegel KW 13

Liebe “DIE WeLT”,

am Freitag vor 75 Jahren bist Du zum ersten Mal erschienen. 20 Pfennig hat die Zeitung gekostet, damals viel Geld, die Unterüberschrift lautete: “Überparteiliche Zeitung für die gesamte britische Zone”. Heute erreicht die gedruckte Zeitung immer noch 700 000 Leser:innen, über den hauseigenen Hitler-Doku-Fernsehsender mit kombinierten Börsenticker “Welt” noch einmal roundabout 1 Million Rentner:innen on top. It's been one hell of a ride.

Seither hast Du vielen Menschen ein publizistisches Zuhause gegeben, die anderen Redaktionen in Zeiten von Cancel Culture und vorauseilender Identitätspolitik zu unbequem, zu sperrig, manchmal auch schlicht zu doof geworden waren. Meine erste Berührung mit Dir war die extrem aufgeladene Debatte um Ronja von Rönnes Text “Warum mich euer Feminismus anekelt” (2015), ein wütender 20 000er gegen die insbesondere im PS-armen Linksgrün-Milieu beliebte Verschwörungstheorie, dass unsere Gesellschaft patriarchalisch strukturiert sei und man es als Frau ein wenig schwerer hätte als als Mann. Gestrigstes Gedankengut in übler 68er-Tradition, da gibt es ohnehin keine zwei Meinungen. Für mich jedoch ein nahezu epiphanisches Erlebnis in der Bahnhofsbuchhandlung: “Nanu”, dachte ich, “was ist das denn hier für eine obergeile Krawall-Zeitung mit so einem Globus oben im Titel? Die klaue ich direkt mal!” Damals ein Win-Win-Win-Geschäft für alle Seiten: Ich hatte endlich etwas Altpapier, um unseren WG-Boden fürs Streichen auszulegen, Ronja von Rönne durfte ihren komplexen Gedanken noch einmal in allen öffentlich-rechtlichen Kultursendungen aufsagen und “DIE WeLT” hatte ihr Scouting-Modell für die kommenden Jahre gefunden: verhaltensauffällige Autor:innen aus dem Internet überreden, ihre exklusiven Diagnosen noch einmal für die “DIE WeLT” aufzuschreiben.

Und dann wieder zurück ins Internet spielen. Rekursives Debatten-Management nennen wir das in der Publizistik. Mit Ulf Poschardt wurde diese Methode bis zur Perfektion getrieben. Dem bis dahin irrelevanten Fahrradblogger Rainer M. verschaffte er einen Kolumnenplatz, mit welchem dieser eine ganze Armada extrem unausgeglichener Internet-Männer, die zufälligerweise (das ergab eine Studie der Uni Leipzig) alle auf den Namen Jörg, Andreas oder Wolfgang hören, dirigiert, nein: befehligt und anderen Journalist:innen das freie Arbeiten quasi verunmöglicht. Was für die einen ein mit der Zeit immer erratischeres Festhalten an der publizistischen Power eines Kuchenfotos postenden Erben vom Tegernsee ist, steht für Poschardt im Einklang mit den drei großen Werten der “WeLT”: Freiheit, Europa, Helmut Kohl! Und die Zahlen geben ihm Recht: Die Dinger klicken wie bekloppt!

Mit solchen Schwergewichten ausgestattet, kann man sich auch journalistische Feingeister leisten. Mit Querfinanzierungsmodellen kennt man sich ja bei Springer ohnehin aus, und so war das Blatt auch für andere Großdenker wie den rheinland-pfälzischen Nischentheoretiker Nils Heisterhagen oder den Krawallo-Liberalen Bert Brechtgens Sprungbrett in die umkämpfte Meinungsbranche.

So unterschiedlich doof die einzelnen Autor:innen auch sein mögen, eine Sache verbindet sie alle: die Liebe zur Freiheit. Denn das war heute wie vor 75 Jahren schon immer die zentrale Frage aller Paywall-Thinkpieces: Freiheit, was ist das überhaupt für ein Wort? Wie schmeckt sie? Auf welches Gebäude in Berlin-Mitte könnte man es noch einmal bei Nacht projizieren? Apropos Paywall: Hinter den allermeisten “DIE WeLT”-Paywall-Artikeln befindet sich selbst im Abo-Modus kein Fließtext mehr. US-Investor KKR, der inzwischen knapp die Hälfte des Konzerns hält, sieht betriebswirtschaftlich keinen Sinn mehr darin, ganze Artikel zu produzieren. “Eine geile Überschrift reicht doch für ‘nen Twitter-Aufreger”, heißt es dazu aus den USA.

Freiheit ist manchmal eben auch die Freiheit zum Verzicht.

Alles Gute zum Geburtstag: Dein Dax Werner




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt