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Claus Strunz – größter Denker des Landes

Zum Aberglaube der Azande, einer ethnischen Gruppe im Norden Zentralafrikas, gehört die Vorstellung, es sichere die Bananenernte, regelmäßig Krokodilzähne an den Stauden zu reiben. Denn: Krokodilzähne wachsen nach, wenn sie ausfallen. Also müsste sich diese Eigenschaft doch auf etwas völlig anderes, nämlich die Bananenstaude übertragen lassen. Genau so funktioniert auch der Journalismus von Claus Strunz, dem personifizierten Qualitätsverlust des Privatfernsehens. So sagt man.

Ja, bei Strunz sind sich die Feuilletonisten einig: Ein "schmieriger Populist ekelerregendster Sorte" sei er, ein "ehr- und charakterloser Müllhaufen, ein bestenfalls halbgebildeter Dorftölpel, dessen intellektuelle Fähigkeiten nicht über die einer handelsüblichen Hängebauchsau hinausgingen" (Gedächtnisprotokoll). Weshalb entfacht der 51jährige bei seinen Kollegen solchen Groll? Na klar: Weil seine Kritiker den großen magischen Geist nicht begreifen, der in Claus Strunz wirkt.

Der Vollblutrhetoriker hat es sich schon früh zur Lebensaufgabe gemacht, jeder Debatte das hanebüchenste Thinkpiece zu liefern, das sich ein Mensch im Hirnkastl zusammenspinnen kann. So wie es rechts von der CSU keine Partei geben dürfe, darf es nach Strunz auch keinen wahnsinnigeren Diskussionsbeitrag geben. Während Söders Bauernpartei bei diesem selbstauferlegten Auftrag versagt, erfüllt Strunz seinen Soll Tag um Tag.

Dennoch schätzt die deutsche Presselandschaft seine Arbeit keineswegs. TV-Konsumenten und Twitter-User, Leser und Chefredakteure verachten das "Pflaumengesicht" (wahrscheinlich Poschardt), weil Strunz die unangenehmen Fragen stellt. Also die, die für den Fragenden unangenehm sind. Unvergessen etwa sein an Katja Kipping gerichtetes: "Finden Sie Christian Lindner scharf?" Es stimmt: Claus Strunz ist der einzige Mensch, der sogar Julian Reichelt dazu bringt, mit den toten Augen zu rollen. Respekt? Bekommt er nicht.

Um das "Phänomen Strunz" (niemand) zu erfassen, seinen einzigartigen Stil aus Powersätzen wie "Wir leben jetzt wie in Israel" und Schlagwortwiederholungen (Angst vor dem Islam, Asylbetrug, Terror) zu verstehen, müssen wir einen Blick auf seine Biographie werfen. Wer ist der Mann hinter der lässigen Brille? Was hat Claus Strunz auf dem Karriereweg zum lustigsten Moderator der Nation geprägt?

Hätte Strunz Freunde, sie würden uns erzählen, dass er einer jener Teenager war, die sich selbst zur Geburtstagsfeier der fünf Jahre jüngeren Katja einladen, zwei Flaschen Schnaps kippen und mit vollgekotztem Pullunder "Mädels! Let’s party!" krakeelen. Der selbstlose Moderator toller Sendungen wie "Schwarz, Rot, Burka – wie islamistisch ist Deutschland? Der Faktencheck mit Claus Strunz" und „Akte 20.18 – Nacktbilder von Claus Strunz" (ein vom Wunsch getriebener Scherz) ist stets bereit, Schwung in den Laden, auch mal Opfer zu bringen. Bereit, den Ballast der eigenen Menschenwürde abzulegen, um jenen Themen Aufmerksamkeit zu verschaffen, die ihm wichtig sind. Also sich selbst. Strunz kennt keine Scham, das macht ihn so gut. Wenn die Wahrheit zu lasch wird, peppt er sie für uns auf. Er ist the boy who cried wolf, nur dass er ständig "Flüchtlinge!" quiekt.

Dass ein dermaßen talentierter Realitätskosmetiker das Interesse der ganz Großen auf sich zieht - geschenkt. Zur Jahrtausendwende avancierte der Jahrtausendjournalist zum Hauptschriftleiter der "Bild am Sonntag", wo er sich letztgültig in den Boulevard verliebte. Weil man den aber nicht heiraten kann, ehelichte er die Chefredakteurin der Gala.

2008 beförderten ihn die Springer-Bosse sogar zum Leiter des Hamburger Abendblatts. Anderthalb Jahre später musste er auch dieses Amt zugunsten noch bedeutender Herausforderungen ruhen lassen: Man richtete ihm ein eigenes, extra für ihn geschaffenes Videoproduktionskämmerchen ein, von wo aus er alles, was seinem findigen Geist entsprang, zuerst dem Vorstand vorlegen musste, weil die Chefs den neuesten Geniestreich freilich als erste sehen wollten.

2017 dann sein bislang größter Triumph: An der Seite echter Journalisten darf Strunz beim Kanzlerduell Fragen an Angela Merkel und ihren Herausforderer Dings stellen. Strunz’ Sternstunde ist gekommen. Er spürt, was dem Volk vor dieser bedeutsamen Wahl unter den Nägeln brennt. Er holt tief Luft. Und spricht. Ob sie es gut finden, dass die Fußballweltmeisterschaft im Jahre 2022 in Katar ausgetragen wird? "Nein", sagt Merkel. "Nein", sagt der andere. Strunz atmet erleichtert auf.

Überhaupt: der Fußball. Herkömmliche Medienschaffende leugnen gerne, dass Politik und Fußball genau dasselbe sind. Nicht "Uns Strunz" (Strunz selbst). Nach dem Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft bei der WM analysierte er blitzgescheit im Sat.1-Frühstücksfernsehen: "Da war wie so’n, wie so’n Dimmer drüber, wie so, wenn man das Licht irgendwie oder die Musik so leise macht und das ist auch durch dieses Schweden-Tor nicht weg. Sehr sehr merkwürdig und das erinnert mich eben total an den Zustand des Landes, wo’s genau so läuft." Brillant beobachtet, tadellos zum Vortrage gebracht. Sein Fazit: "Deshalb ist geboten, dass Jogi Merkel den Weg freimacht für einen Neuanfang." Deutschland braucht diesen Mann.

Allein: Eine Frage ist noch offen. Woraus zieht Claus Strunz eigentlich diese Power, diese Coolness, diese Leichtigkeit, die der deutschen Fußballtruppe so sehr fehlte? Es ist sein geniales Stellungsspiel: Strunz braucht aufgrund seiner Position nie zu fürchten, auszuscheiden – er ist Geschäftsführer jener Firma, die das Sat.1-Frühstücksfernsehen produziert. Und in der er sich sympathisch selbstbewusst selbst als Experte befragen lässt. Und die bei seinen Auftritten bescheiden Bauchbinden wie "Claus Strunz – Journalist" zu lesen gibt, wo es eigentlich heißen müsste: "Claus Strunz – größter Denker dieses Landes".

Cornelius Oettle

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick