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Berlin braucht Platz zum Dancen
In Berlin schrumpft die Tanzfläche. Das Abgeordnetenhaus sucht engagiert nach einer Lösung für dieses Problem. Bericht aus einer Stadt am Partylimit.
Stickig wummern Bässe gegen unverputzte Backsteinmauern, bleiche Gestalten konsumieren offen Drogen, ein Nackter in Turnschuhen erklärt zappelnd durch ein Megafon, dass er alles hier unheimlich politisch finde und die Welt gemeinsam mit den anderen zu einem besseren Ort tanzen wolle – ein typischer Mittwoch im Berliner Abgeordnetenhaus. Doch nun muss das Wochenende langsam ein Ende finden, wenn vor dem Wochenende noch gearbeitet werden soll. Es gibt nämlich etwas Wichtiges zu besprechen: Der Platz zum Feiern wird in Berlin knapp. Wo früher zu 180 bpm geravt wurde, machen heute biologisch geerdete Eltern Katzenyoga auf mundgeflochtenen Hanfmatten. Oder Schnösel haben einen alten Technoschuppen übernommen, ihn energisch sanieren lassen und trinken dort nun mit anderen Schnöseln schnöseligen Schnöselkaffee und futtern Kekse aus gebackener Bärenscheiße dazu. Oder die Stromrechnung wurde irgendwann nicht mehr bezahlt, das Gebäude abgerissen, der Stadtteil weiträumig planiert und zu einem Parkplatz für Immobilienhaie umgewidmet.
Die Folge: Immer mehr Tanz- und Rauschwütige tummeln sich auf immer weniger Raum, die Straßen sind ganzwöchig voller Freaks, die aussehen, als wären sie nirgendwo mehr reingekommen oder hätten auf der Suche nach Partyspaß ihre Orientierung vercheckt (sog. Berliner). So kann es nicht weitergehen, findet auch der Senat, sonst verlaufen sich am Ende alle. Neue Locations müssen her, da herrscht sogar fraktionsübergreifend Einigkeit. Doch woher nehmen, wenn bestohlen? Einige Parteien haben dazu bereits eigene Konzepte getwittert:
Die CDU liebäugelt mit alternativen Projekten, Stadtteiltreffs und öffentlich finanzierten Räumen, die sie polizeilich räumen lassen und Investoren nur unter der Auflage verkaufen will, "mindestens die ersten drei Jahre jeweils zehn große Bumspartys mit Flüchtlingen (als Personal) zu veranstalten."
Die LINKE will "alte Bass-Bestände aus DDR-Zeiten günstig an Diskothekenbetreiber abgeben, damit die ihre horrenden Mieten weiter zahlen können. Außerdem sollten die Säulen des Brandenburger Tors durch Boxen ersetzt werden, um dort ganzjährig die Post abgehen zu lassen, wa?"
Die Grünen schlagen "kostenlose Achtsamkeitskurse für Hartz-IV-Empfänger" vor, um eine "unheimlich intensive Party aus ganz unterschiedlichen Sinneseindrücken und Emotionen im Kopf zu erzeugen. Denn mal ehrlich: Wer arbeitet, hat für richtige Eskapaden doch ohnehin nur noch einmal im Jahrzehnt Zeit."
Die AfD möchte "neuen Tanzraum im Osten erobern, beispielsweise leerstehende Dörfer, ausgebrannte Flüchtlingsheime, Polen."
Über diese Ideen soll nun rauh, aber herzlich gestritten werden. Den Anfang macht Bernd Schlömer von der FDP mit einem prägnanten Redebeitrag: "Ja, also, ick denk mir det wie die CDU, nur ohne die Auflagen, wa? Wir wern det allet verkoofen und mit dem Jeld ne tolle Party für so’n paar reiche Männekens auf der Spree schmeißen, wa?" Zwischenruf aus dem Plenum: "Du bist doch gar keen Balina, tu ma nich so!" – "Schnauze, du Moped! Wa?" Hitzige Hauptstadtdebattenkultur at its best!
Als nächstes tritt Michael Müller von der SPD ans Rednerpult und räuspert sich: "Kurze Frage vorab: Ist der Bürgermeister anwesend?" Betretenes Schweigen im Saal. Präsident Ralf Wieland raunt mit der Hand auf dem Mikrofon: "Aber das sind doch Sie, Herr Müller." – "Müller, Müller, Müller… nie gehört. Wie war mein Name? Also, wie dem auch sei: Ich möchte Herrn Bürgermeister Wowereit von der NPD vorschlagen, den BER, den im Bau befindlichen BER vorläufig zu einer Partyfläche umzufunktionuckeln. Als Begegnungsoase für Liebhaber synthetischer Musik und elektrischer Rauschmittel, und zwar bis zur Fertigstellung des Flughafens im Jahr drei Milliarden nach unserer Zeitrechnung." Gelächter und Gejohle geht durch die Reihen und wird immer stärker. "Sehr gut, Herr Bürgermeister!" krakeelt Anne Helm von der Linken. "Das ist aber nicht nur gut gedacht, sondern auch lustig, weil..." Helm kann vor Lachen nicht mehr weitersprechen. "...weil der BER bis zum Jahr drei Milliarden nach Christus bestimmt gar nicht fertig wird, hahaha!" beendet Stephan Standfuß von der CDU den Satz. Der Grüne Abgeordnete Andreas Otto murmelt halblaut vor sich hin: "O Mann, der unfertige Flughafen als Partyraum für eine fertige Stadt, einfach nur Realsatire. Das wäre bestimmt was für die TITANIC. Valentin", spricht er mich an. "Du schreibst doch für die, schlag denen das mal vor."
Lieber nicht, denke ich. Dann wird Musik aufgedreht und das Licht heruntergeregelt. Stickig wummern die Bässe gegen unverputzte Backsteinmauern, bleiche Gestalten konsumieren offen Drogen, erste Partyanimals entledigen sich ihrer Kleidung. Das Wochenende im Abgeordnetenhaus hat begonnen, ausnahmsweise erst am späten Mittwochnachmittag.
Valentin Witt