Aus Eugen Egners Püppchenstudio
Das Mantelproblem
Am Abend ging ich ins Kino. Beim Einlaß in den Saal wurden Brillen verteilt, die helfen sollten, den Film besser zu verstehen. Ich ließ mir gleich mehrere geben. Obwohl ich fremd in dieser Weltgegend war, kannte ich doch den Brillenwart, der mich freundlich grüßte. Ich hätte ihn gern nach seinem Befinden gefragt, kam aber nicht dazu, denn der Publikumsstrom trug mich unaufhaltsam fort zu den Sitzplätzen. Nachdem ich Platz genommen und meinen Mantel abgelegt hatte, setzte ich die Brillen auf. Trotzdem verstand ich den Film nicht. Gleich in der ersten Szene fraß die Hauptdarstellerin einem Schauspielerkollegen die Armbanduhr vom Handgelenk. Danach sah ich nicht mehr hin. Ich nahm die Brillen ab, zog meinen Mantel über mich und dachte mir einen anderen Film aus. In diesem anderen Film wurde ich gebeten, bei der Kasse vorzusprechen. Peinlich berührt stand ich auf, um mich vor aller Augen zwischen zahllosen Rückenlehnen und Knien hindurchzuzwängen, bis ich endlich den Gang erreichte. An der Kasse erwartete mich eine Kriminalkommissarin mit der Nachricht, mein Mantel treibe sich in der Welt herum und begehe Straftaten, darunter auch Maßstabsverhetzung. Nun sollte ich die Unschuld des Mantels beweisen, von dem ich beteuerte, ihn auf meinem Sitz zurückgelassen zu haben. Um das zu überprüfen, hätte das Saallicht eingeschaltet werden müssen. Aus Höflichkeit gegenüber dem Publikum beschlossen wir zu warten, bis der Film zuende war. Vorher aber endete der, den ich nicht verstand. Ich mußte wieder unter meinem Mantel hervorkommen und ihn anziehen, um das Kino zu verlassen.
Draußen erwartete mich eine Kriminalkommissarin mit der Nachricht, mein Mantel sei fort, streife mutwillig umher und mache sich zahlreicher Delikte schuldig. Sofort sah ich an mir hinab und überzeugte mich: Jawohl, mein Mantel war weg. Meine Befürchtung, für seine Missetaten verantwortlich gemacht zu werden, wurde von der Kommissarin nicht entkräftet.
„Hoffentlich bekommen Sie ihn zurück“, äußerte sie mitfühlend. „Die Hoffnung“, erwiderte ich, „ist das wichtigste Organ und daher das größte.“
Diese neue Entwicklung berührte mich ausgesprochen unangenehm. Alle, die schon etwas derartiges erlebt haben, werden nachempfinden können, wie mir zumute war.
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