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Aus Eugen Egners Püppchenstudio

 


 

Der Protagonist

Als Paul de Kerk die Frau an jenem Abend zum ersten Mal sieht, befindet sie sich gerade einer großen Zahl von Angreifern gegenüber. Sie wirkt vollkommen gelassen, weder Furcht noch Zorn, nicht einmal besonderes Interesse scheint sie zu verspüren – ganz wie bei einer alltäglichen Verrichtung, an deren für sie vorteilhaftem Ausgang es keinerlei Zweifel gibt. De Kerk erfaßt den ausgesprochen dramatischen Charakter der Situation überhaupt nicht, ebenso we­nig achtet er auf das Aussehen der Frau; es ist ihm so egal wie ihr Schicksal. Für ihn zählt einzig der Umstand, Protagonist einer Geschichte zu sein. Was auch immer geschehen wird, er steht im Mittelpunkt, sein augenblicklicher Mut­wil­le bestimmt die Handlung. Dieser Gedanke erheitert ihn stark. Doch gleichzeitig drängt sich ihm die Frage auf, ob er eigentlich in diesem Moment wirklich gebührend beachtet wird. Die Frau und ihre Angreifer scheinen ihm ein bißchen zu viel Aufmerksamkeit zu beanspruchen, für Nebenfiguren ge­hör­­t sich das nicht. Er muß sich unbedingt ins rechte Licht setzen. Zuerst aber muß er sich bücken, um seinen linken Schuh zuzubinden, der Schnür­senkel löst sich allzu leicht, seit Jahren ärgert er sich schon darüber. Bei der Beschäftigung mit dem Schuh fällt ihm auch ein, wie schnell er immer die Fer­sen seiner Socken durchläuft: Kein Paar kann er länger als fünfmal tragen. Ei­ne wichtige Sache von einiger Tragweite ist das, ihre befriedigende Er­ledi­gung steht noch aus. Während er durch die Schnürtätigkeit handlungstechnisch vorübergehend außer Gefecht gesetzt ist, verfolgt er aus einer Entfer­nung von ungefähr sechs Metern den Ablauf der Szene vor sich auf dem Bür­gersteig. Aus den alten Gebäuden der finsteren, recht verkommenen Straße dringt ein modriger Geruch. Paul de Kerk unterbricht zwischendurch sein Tun und macht der Frau Zeichen, hält sich auch demonstrativ die Nase zu und verzieht den Mund. Darunter leidet freilich das Schuhzubinden. Die Frau steht mit dem Rücken zu einer Hauswand, ihr gegenüber in etwa zwei Metern Abstand ein halbes Dutzend restlos depravierter Kerle. Auf rudimentär sprachartige Weise teilen sie ihr mit, was sie mit ihr zu tun wünschen. Darüber muß de Kerk wiederholt laut auflachen, weshalb er sich erst recht nicht auf die Arbeit am Schnürsenkel konzentrieren kann und immer wieder erneut beginnen muß. Aus der Hocke sieht er, wie sich einer der Angreifer der Frau nähert. Die übrigen bleiben, wo sie sind, und geben ihrer Vorfreude laut­stark Ausdruck. Jetzt greift der Kerl nach der unverändert seelenruhig Drein­blicken­den. De Kerk wirft ihr Steinchen und zusammengefaltete Zettel zu, um auf sich aufmerksam zu machen, nachdem sein Schuhband endlich fixiert ist.
»Gestatten, Paul de Kerk«, ruft er, »Protagonist dieser Geschichte. Sehen Sie nur, ich kann Flaschen auswendig zeichnen!«
Zum Beweis zeichnet er, ohne eine Vorlage zu verwenden, schnell eine Fla­sche auf ein Stück Papier und hält es hoch. Die Frau reagiert nicht auf ihn.
»Hallo, gnädige Frau! Ich rede mit Ihnen! Sind Sie immer so verschlossen? Soll ich Sie für unfreundlich halten? Wie heißen Sie denn?«
Was für ein Idiot! Nein, wir können es nicht länger mit ansehen – dieser lä­cherliche, unnütze Protagonist kann nur die Handlung ruinieren, wenn er nicht schleunigst durch einen besseren ersetzt wird. Leider ist es sehr schwer, heutzutage einen akzeptablen Ersatz­protagonisten zu finden. Zumal, wenn es schnell gehen soll, sozusagen im fliegenden Wechsel bei laufender Handlung. Deshalb brechen wir die Geschichte hier ab.

Möchten Sie trotzdem die ganze Geschichte lesen? Dann erwerben Sie antiquarisch das alte Buch "Die Durchführung des Luftraums" von Eugen Egner. Große Mengen verramschter Exemplare dieses Titels, die fast nichts kosten, werden im Internet feilgeboten. Keine Sorge: Der Autor verdient nichts daran.




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Briefe an die Leser

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg