TITANIC Gold-Artikel

Apotheken in Not: Wenn die Türe nicht mehr bimmelt

Der Tod geht um in Deutschland, der Apothekentod. Noch sind die Auswirkungen beinahe unmerklich, doch knattern die Porschemotoren nicht schon etwas leiser Richtung Juwelier? Was passiert, wenn die Apotheke, die immer da war, plötzlich nicht mehr da ist? Eine Recherche.

___STEADY_PAYWALL___

"Alle 38 Stunden schließt in Deutschland eine Apotheke. Für immer." So warnt seit geraumer Zeit eine Kampagne der Apothekergenossenschaft Noweda, so steht es auf einem Plakataufsteller vor der Bären Apotheke Preungesheim (BAP). Es sind Worte, die betroffen machen, vor allem den Apotheker selbst: Stefan-Mark Tatze ist jetzt 64, mit 65 möchte er in Rente gehen. Doch seine Nachfolge ist bislang ungeklärt, niemand möchte das branchenintern "Sickergrube" genannte Pharmaziegeschäft übernehmen. "Es werden einfach nicht genügend Leute krank!" bringt Tatze das Grundproblem notleidender Apotheken auf den Punkt. "Und wenn, trifft es meistens die geizigen Kassenpatienten. Dazu kommen Unregelmäßigkeiten im Betäubungsmittelhandel, offenbar bedient sich ein Mitarbeiter in hübscher Regelmäßigkeit an unserem 'Giftschrank'. Das dürfte ich Ihnen eigentlich gar nicht erzählen, ooooops!" Schnell lenkt Tatze das Gespräch auf die wirtschaftliche Gesamtsituation zurück. 

Dr. Tatze ist mit seinen Sorgen nicht allein. Eine weiße Maus, die nur er sehen kann, bekommt alles erzählt, wenn gerade keine Kunden da sind, also praktisch den ganzen Tag. Diese Maus sei übrigens sein einziger Mitarbeiter, klagt Tatze, wirklich alles müsse er alleine machen, um sich mit den mauen Umsätzen doof und dusselig zu verdienen. "Mitarbeiter könnte ich mir wegen der immensen Verluste aus dem Betäubungsmittelgeschäft außerdem gar nicht leisten. Ooooooops!" legt Tatze nach und legt nach. Irgendein weißes Pulver. Worum es sich handelt, soll geheim bleiben. "Ich werde Ihnen doch nicht die Rezeptur für meine 25:33:19:13:10 Kokain-Amphetamin-MDMA-Heroin-LSD-Mischung verraten, hahaha", lacht der trotz aller Widrigkeiten bestens gelaunte Medikamentenprofi hinter seinem Tresen. "Sonst würde ich womöglich noch meinen besten Kunden verlieren, irgendjemand bestellt davon jeden Tag irre Mengen!"

Auch anderen Apotheken geht es nicht gut. Mehr schlecht als recht schleppen sie sich durch, bekommen jeden Tag große Mengen Tabletten zugeführt. Doch die Pillen liegen mittlerweile wie Blei in den Regalen – das kannte man früher nur vom homöopathischen Mittel Plumbum metallicum. Angesichts dieser Entwicklung schlagen Apothekenschützer weltweit Alarm. Aktuell bekämen die Kunden vom Sterben der Apotheken nichts mit, weil immer noch alle 200 Meter eine stehe. Doch glaubt man dramatisierten Zahlen der Pharmazeutenlobby, muss eventuell in einiger Zeit jede zweite Apotheke aufgeben. Dann stünde nur noch alle 400 Meter eine. Und dann? 

"Spinnt man diese Tendenz fort", erläutert Apothekenaktivistin und Ideologiekritikerin Thea Dorn, "gibt es in nicht einmal 100 Jahren überhaupt keine Apotheken mehr." Als Schuldigen benennt Dorn, anders als Tatze, nicht so sehr die Krankheitsmüdigkeit der Deutschen, sondern den Internethandel. Große Online-Apotheken würden inzwischen einen Riesenreibach machen – Geld, das im stationären Handel fehle. "Das Geschäft mit Browsertabletten wird sogar zu 100 Prozent digital abgewickelt", seufzt Dorn. "Ich frage Sie: Hat man da noch Wortpiele?" Als "reisende Patientin" suche sie sehr abgelegene Apotheken auf oder solche in Gebieten mit besonders hohem Konkurrenzdruck und leiste Erstversorgung mit Rezepten, bis der Arzt komme. Besonders schlimm sei es immer, wenn nicht einmal sie mehr etwas für die sterbenden Heilmittelverkaufshallen tun könne. Die landläufigen Vorurteile gegenüber dem Arzneigeschäft machen sie deshalb umso wütender.

Beeindruckend: Hier braut Tatze eigene Heiltränke und "verbessert" handelsübliche Medikamente

In der Bevölkerung gelten Apotheken weiterhin als Goldgruben für arbeitsscheue Schnösel mit Hang zur Selbstmedikation, die am Leid ihrer Kunden verdienen wollen, und das stimmt freilich. Doch verschwinden die Apotheken, verschwindet auch ein Stück Lebensqualität aus der Stadt. Die Möglichkeit zum zwanglosen Thekengespräch über Hämorrhoidenbehandlung und Fußpilzsalben, während zehn Leute in der Warteschlange mit Abholzetteln wedeln. Eine Verkaufsstelle für Kombipräparate gegen Infekte, die schon von allein abgeklungen sind, wenn die Online-Bestellung endlich eintrifft. Ein schönes Eigenheim mit Zweitferrari in der Einfahrt für die Apotheker.

Noch können sich die meisten Menschen ihre Benzodiazepine, die sie aus Angst davor, dass sie ihre Benzodiazepine bald nicht mehr um die Ecke holen können, um die Ecke holen. Findet Stefan-Mark Tatze niemanden, der sein Geschäft übernehmen möchte, bräche im Umkreis von 100 Metern auch dieser Markt zusammen. "Viele reagieren spöttisch auf das Plakat vor meiner Tür", berichtet Tatze und rührt Pülverchen zusammen. "'Apothekensterben? Gibt’s da nicht was von Ratiopharm?' So habe ich es bestimmt schon mal gehört. Was die Leute dabei nicht bedenken: Ohne mein Geschäft entgeht ihnen auch meine exzellente Beratungsleistung, die sie ja leider ohnehin kaum in Anspruch nehmen wollen."

Bisweilen blättere er im Telefonbuch und wähle wahllos Nummern, um wichtige pharmazeutische Informationen unters Volk zu bringen. "Die halbe Stadt hat meine Nummer schon blockiert", lacht Tatze stolz. Seine ansteckend gute Laune täuscht leicht über die traurige Geschäftsbilanz hinweg, ebenso seine Platinrolex und das prallvolle Bankkonto in der Schweiz. Einen Moment lang droht die Stimmung zu kippen, da passiert etwas, was sonst kaum je passiert: Die Türe bimmelt, Kundschaft betritt den Laden. Es ist Wolfgang Niedecken mit zwei Bandmitgliedern. "Whoa, BAP in meiner BAP!" Tatze gerät schier aus dem Häuschen. "Ich habe euch damals 1583 bei der Walpurgisnacht gesehen, meine Hose war grün und Twix hieß noch 'Reiberübe'!" "Äh, hallo!" grüßt Niedecken kurz, greift eine "Apotheken-Umschau" und wendet sich wieder zum Gehen. "Brauche nur was zum Rätseln für unterwegs." Dann bimmelt es noch einmal. Als Thea Dorn endlich aufkreuzt, ist es 18:31 Uhr, die Tür geschlossen. Dieses Mal für immer. Morgen ist Tatzes 65. Geburtstag.

Valentin Witt

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg