Abschiedsgespräche mit Bundespräsident Joachim Gauck (3)
Heute: "Altersmilde"
TITANIC: Herr Bundespräsident!
Gauck: Wo? Ach so... (räuspert sich). Fahren Sie fort, junger Mann. Haha, nur eine meiner kleinen Eulenspiegeleien, die ich mir letztes Jahr von diesem englischen Komiker Prince Philip abgeschaut habe. Sie dürfen natürlich hierbleiben, wo wir gerade so nett miteinander plaudern. Wo waren wir denn stehengeblieben?
TITANIC: In Ihrer Dienstvilla in Berlin-Dahlem.
Gauck: Jetzt veralbern Sie mich aber, oder? Na ja, ich will mal nicht so sein. Also, was liegt Ihnen auf dem Herzen?
TITANIC: Herr Bundespräsident, Sie werden im Januar 77. In den vergangenen fünf Jahren haben Sie beispielsweise nicht davor zurückgeschreckt, Erdoğans Bestrebungen zur Etablierung einer Präsidialherrschaft in der Kölner Keupstraße zu kritisieren oder der Bundeskanzlerin mit ihrer "Wir schaffen das"-Rhetorik in den Rücken zu stechen, äh, fallen. Begründet sich Ihr Verzicht auf eine weitere Amtszeit womöglich auch auf die Sorge, mit fast 80 unbequeme Positionen zu meiden und stattdessen Altersmilde walten zu lassen?
Gauck: Das würde ich so nicht sagen. Schließlich hatte ich immer meine besten Momente als stummer Grüßaugust in kuschelgemütlichen VIP-Logen. Wie beim WM-Finale 2014. Mensch, das war ein Spiel! 78. Minute. Sparwasser nach Paß von Hamann. Zack, drin – 1:0! Werde ich im Gegensatz zu vielem anderem nie vergessen.
TITANIC: Bereits in letzter Zeit haben Sie sich mit kritischen Äußerungen wohltuend zurückgehalten, als es in Europa mal wieder hoch herging – Stichwort: Österreich/Italien.
Gauck: Ha, sehen Sie, von wegen altersmild! Das lasse ich so nicht stehen und muß Sie gleich mal korrigieren. Es heißt nämlich Österreich-Ungarn. (kramt in einer Vitrine herum) Hier, werfen Sie mal einen Blick auf mein schönes Erdscheibenmodell.
TITANIC: Das ist ein Porzellanteller mit Alpenmotiv.
Gauck: So? Wie dem auch sei. Bei dem Leid, das uns seit geraumer Zeit in Europa und der Welt umgibt, bluten mir die Augen. Das habe ich bereits mit 75 gesagt, das sage ich jetzt mit 76 und das würde ich auch mit 74 noch sagen. Nanu, sind Sie noch da?
TITANIC: (erschrickt) Herr Bundespräsident, Sie bluten wirklich aus den Augen.
Gauck: Ja, das ist die Bürde des Alters. Das läßt nämlich ebenfalls keine Nachsicht walten. Geht gleich schon wieder. Ich muß mich nur ein bißchen schonen. Auch eine Tasse Hag?
TITANIC: Nein, danke! Eine letzte Frage noch: Was fangen Sie denn demnächst mit Ihrer vielen Freizeit an?
Gauck: (plötzlich hellwach) Freiheit? Haben Sie Freiheit gesagt?
TITANIC: (alarmiert) Nein, nein, nein! Freizeit!
Gauck: (unbeirrt) Ja, die Freiheit! Wer sich der Freiheit im Inneren verpflichtet fühlt, vertritt sie auch nach außen. Wir haben die Freiheit ersehnt, sie hat uns angeschaut, wir sind aufgebrochen, und sie hat uns nicht im Stich gelassen. Freiheit...
TITANIC: Auf Wiedersehen, Herr Bundespräsident!
Gauck: ...will nicht nur immer wieder neu errungen sein, Freiheit muß auch immer wieder neu gestaltet werden. Jede Generation steht vor der Herausforderung, für sich und für ihre konkreten Umstände Freiheit zu vollenden, Freiheit, die sich in ihrer schönsten Form... (Rest verhallt ungehört)
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