Aus Eugen Egners Püppchenstudio
"Wohnzimmer" (2018, Farbe auf Untergrund, 12 x 4 Meter)
Meine Biographie (1. Teil)
Eines Vormittags, als meine Mutter und ich gerade beginnen, das Leergut zu sortieren, kommt eine Nachricht für mich. Ich solle jetzt kein Leergut sortieren, heißt es darin, sondern sofort zur Handelsschule fahren und eine Frau treffen, die beabsichtige, meine Biographie zu schreiben. Eile ist geboten.
Ich laufe also zum Busbahnhof und erfahre zu meiner Überraschung: „Der Busbahnhof ist heute woanders.“ Da, wo er sonst immer zu sein pflegte, sind jetzt überraschenderweise gigantische Baumaßnahmen im Gange, die, wie man hört, mindestens zehn Jahre dauern sollen. Anwohner und Passanten zeigen sich verärgert. „Konnte das nicht vorher angekündigt werden?“ fragt eine Dame. Die Bauarbeiter behaupten, sie seien selbst von der Aktion überrascht worden. Man habe sie in der Nacht geweckt und, notdürftig instruiert, zu ihrem neuen Einsatzort gebracht. Inzwischen haben sie ein enormes Loch ausgehoben. Der Zweck ist ihnen unbekannt.
Irgendwie erreiche ich trotzdem die Handelsschule. An der Bar frage ich nach der Frau, die ich hier treffen soll. Der Wirt weiß Bescheid und schickt mich ins oberste Stockwerk, wo sie mich schon erwartet. Ohne Ansehen der Person erkläre ich ihr, daß ich nicht viel Zeit habe: „In einer halben Stunde werde ich daheim vom Pfarrer abgeholt. Da er mich für ein begabtes Kind hält, will er mit mir in die Stadt fahren und mir einen Wasserfarben-Malkasten kaufen. Außerdem soll ich am Abend während einer öffentlichen Veranstaltung im Rathaus das Förderetikett mit Hormon erhalten.“
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