Pro und Kontra Amokläufe in Grundschulen
Pro
Ja, wir alle sind entsetzt und fühlen uns betroffen. Wir müssen an unsere Kinder denken, die zum Teil noch zu klein sind, um zu verstehen, was in Newtown geschehen ist. Die zu jung sind, um die aufregende Rundumdieuhr-Berichterstattung verfolgen zu dürfen. Die sich mit alten Märchen begnügen müssen, während wir ständig neue Bilder, Heldengeschichten und Details aus dem Leben dieses Markus Lanza bekommen, den Amoklauf in interaktiven Grafiken nachspielen. Aber solche schrecklichen Untaten sind nicht nur unterhaltsamer als der "Tatort", sie sind auch wichtig. Sie stoßen Debatten an: So diskutieren die USA endlich ernsthaft über ihr Verhältnis zu Schußwaffen. Wohl mit dem Ergebnis: Auch Grundschüler werden mit Knarren ausgerüstet – weil Amokläufer nur so zu stoppen sind. Nutzen: Die Amis ballern sich gegenseitig ab, die Schutzmacht Israels fällt, Weltfrieden. Amokläufe bringen auch auf Trab: Bei den Kollegen von Bild sorgt allein die Kombination der Worte "Tote" und "Kinder" für das Verschwinden von Motivationsschwierigkeiten und traurigen Gesichtern. Doch müssen wir auch aufpassen: Der Amoklauf-Vorwurf wird inflationär gebraucht. Und er wird mißbraucht. Jeder Irre mit einer Knarre oder eigenen Zeitschrift gilt gleich als "Amokläufer". Dadurch verliert der Begriff seine Bedeutung und das Thema seine Würde. Uns daran zu erinnern, macht die Großtat von Newtown besonders wertvoll.
Jakob Augstein
Kontra
Es sind Bilder, die wehtun. Bilder, die man so schnell nicht aus dem Kopf rausbekommt. Unter anderem, weil meine Sendung sie immer und immer wieder zeigt. Der Schulamoklauf von Connecticut schockiert besonders wegen seines unglücklichen Zeitpunkts: kurz vor Weihnachten, mitten im Hanukkah-Fest, wenige Tage nach den ersten TV-Jahresrückblicken. Dabei können wir froh sein, daß das Verbrechen nicht in einem anderen Bundesstaat stattgefunden hat. Das Wort "Mississippi-Massaker" möchte man als "Punkt 12"-Zuschauer nicht aus meinem Mund hören.
Wie sollen wir solche Wahnsinnstaten überhaupt bewerten? Reichen Worte dazu aus? Oder brauchen wir ein eigenes Notensystem, oder Sternchen? Sicher, Amokläufe sind Teil unserer Kultur, nicht nur der amerikanischen. Aber bitte nicht in Schulen! Der Täter, der sich seiner gerechten Todesstrafe vorzeitig und feige durch den Tod entzogen hat, darf nicht mehr Aufmerksamkeit bekommen als etwa Helmut Berger oder das süße Nilpferdbaby vom Ende der Sendung. Das erbärmliche Bild des Schützen ist sowieso schon gezeichnet: ein stiller Einzelgänger im Besitz eines Computers, auf den sich laut Expertenmeinung Killerspiele installieren lassen. Außerdem hat er mit seiner eigenen Mutter zusammengelebt. Boah, wat 'ne Schlampe. Das wird jetzt nicht abgedruckt, oder?
Katja Burkard
◀ | Das Lyrik-Eckchen | Aus Eugen Egners Püppchenstudio | ▶ |
Newstickereintrag versenden…