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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (70)

(Was bisher geschah)

Kurtchen rutschte verstohlen auf seinem Stuhl herum, während Gernolf, der, wie um sich nach Veröffentlichung seiner Idee zu sammeln, wieder auf den Taxistand stierte, vielleicht auch, wie Kurtchen einfiel, um gleich einen Plan B in der Tasche zu wissen, sollte die Welt auf Gernolf als Jung-Siegfried doch nicht so dringend gewartet haben. Was wollen die Leute? Sie wollen nach Hause gefahren werden. Ich laß sie dann immer an der U-Bahn raus. Geht auch schneller, als wenn ich sie fahre.

"Tja", machte Kurtchen bloß, und er verdrängte den Gedanken daran, wie angenehm es wäre, jetzt alleine aufs Fischfrühstück zu warten. Er wußte nämlich nicht, was er von all dem schon wieder halten sollte, und er hatte, um die Wahrheit zu sagen, auch gar keine Lust, es herauszufinden. Vielleicht funktionierte er sowieso eher als abendlicher, nächtlicher Problemlöser, und es war nicht der geringste Grund für die Implosion seiner zweiten Ehe gewesen, daß er sich beim Frühstück nicht schon von den Päckchen, von denen Gitta glaubte, sie tragen zu müssen, vollstellen lassen wollte. Und während sie, substantiell schon vor dem ersten Kaffee wie ausgeglüht, habituell weh erledigt auf ihrem Brötchen herumkaute und von dem Krankenhaus Mitteilung machte, in das zu gehen sie heute nämlich überhaupt keine Lust habe, weil da nämlich fast alle Ärsche seien und die Hendrike, die blöde Kuh, sie gestern schon wieder wegen der Infusion so komisch angeguckt und sich aber jedenfalls beim alten Reus unverhohlen lieb Kind gemacht habe, aber vorher, bei ihr, Gitta, noch über ihn hergezogen sei, von wegen, daß er ein Chauvi ist und seiner Ex-Frau die Alimente nicht zahlt, aber schon wieder einen neuen Porsche, das ist sooo ein Arsch, aber Hendrike eben immer genau da rein, sie, Gitta, könne jedenfalls längst nicht mehr, wolle auch nicht mehr, dieses ganze Medizinstudium sei sowieso eine Schnapsidee gewesen, sie habe (und spätestens ab hier vollendete Kurtchen bei sich die Sätze, er hatte sie zu oft gehört) überhaupt nur Vaters wegen studiert, sie hätte viel lieber was Kreatives gemachtoder was mit Tieren, und mit einer final resignierten Geste ließ sie den Brötchenrest fallen und schüttelte auf eine derart ostentative Weise den Kopf, daß Kurtchen genauso ostentativ auf die Uhr sah und zur Arbeit mußte, und zwar mit ungleich weniger Reserve. Auch wenn er freilich ebenfalls lieber etwas anderes gemacht hätte, was mit Waffen oder mit viel Lärm, der schön taub macht. Mit Gitta war es gewesern, wie er immer gedacht hatte, daß es nie sein dürfe. Und trotzdem war es so gekommen. Er würde nie wieder jemanden heiraten, den er in der Neujahrsnacht in der Notaufnahme kennenlernte, guter Novellenstoff hin oder her.

"Ich find die Idee gut", sagte Gernolf trotzig, Kurtchen hatte wohl den Kopf geschüttelt. (wird fortgesetzt)  

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (69)

(Was bisher geschah)

"Das Interessante ist jedenfalls", Gernolf beugte sich auf seinem Stuhl nach vorne, "wie gut mir das gefallen hat. Es gibt hundert gute Gründe, dieses Geheimnislose und Aufgeräumte, diese adrett symbolischen, po­liert bildungsbürgerlichen Arrangements für langweilig und unerheblich, vielleicht sogar für, ich sagte es, spießig zu halten. Aber, und das ist es, was mich so beeindruckt: Es ist so gut gemacht. Es funktioniert, und zwar nicht einmal auf zynische Weise. Ich ertappe mich selbst dabei, wie mir das allein deshalb Freude macht, weil es mir bestätigt, daß ich Abitur habe."

"Johannes B. Kerner hat auch Abitur. Veronica Ferres."

"Du weißt doch, wie ich das meine. Vielleicht muß man da wieder hin. So was macht ja heute keiner mehr."

"Abitur?" Kurtchen verzog so absichtsvoll keine Miene, daß es wie eine Grimasse wirken mußte.

"Depp. Solch saubere Selbstverständigungsprosa über die großen Fragen, also, die wirklich großen, nicht solche, wie es kommt, daß in Berliner Cafés alle mit dem Laptop sitzen und trotzdem pleite sind oder was weiß ich."

"Siegfried Lenz", wandte Kurtchen ein und sah den Schweizern beim Einpacken zu.

"Ja, aber der ist doch uralt."

"Und du willst ihn beerben."

"Warum denn nicht? Wenn man annimmt, daß er in gewissem Sinne Thomas Mann beerbt hat? Ein bißchen einfältiger vielleicht, dafür ohne diese ewige Ironie."

Die Schweizer gingen, der Vater hatte den Sohnemann an der Hand, die Mutter das Töchterchen, und Kurtchen war jetzt doch sehr froh, keine zwölf mehr zu sein. Denn da ging sie hin. 

Kurtchen nahm die Speisekarte und vertiefte sich. Gernolf schwieg, und Kurtchen, der ja doch wissen wollte, worin der Entschluß des Freundes bestand, klappte, nachdem er ein als norwegisch klassifiziertes, nämlich fischhaltiges Frühstück gewählt hatte, die Karte wieder zu und gab sie Gernolf. 

"Also das soll es jetzt sein: Gernolf Rademann, der Siegfried Lenz für eine neue Generation." Kurtchen ließ mit Absicht das Fragezeichen weg.

"Du nimmst mich nicht ernst. Es geht um die Methode. Es geht darum, nicht mehr krampfhaft zu versuchen, das Rad neu zu erfinden. Was wollen die Leute? Sie wollen Geschichten über Liebe, Tod, Teufel."

"DDR", half Kurtchen.

"Von mir aus. So. Und wenn mein Ehrgeiz ab sofort wäre, ihnen solche Geschichten zu schreiben? Und zwar ohne diesen ewigen Fokus aufs Selbsttherapeutische, diesen Sublimierungskäse. Einfach hineingegriffen ins pralle Menschenleben, Zeitung aufschlagen, aha, Vater erschießt Tochter, Schwein tötet Mann. Die unerhörte Begebenheit. Novellen. Geht auch schneller als ein Roman."

Kurtchen beobachte zwei Spatzen, die zwischen den Stühlen umherhüpften und nach Krumen pickten, und merkte, wie ihm der Hintern juckte, aber er unterließ es, Gernolf das als Stoff anzudienen, dazu war die Tatsache, daß er, Kurtchen, das billige Feuchtpapier nicht vertrug, wohl auch nicht in ausreichendem Maße unerhört. (wird fortgesetzt)  

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (68)

(Was bisher geschah)

"Ist nicht mein Fred", sagte Kurtchen.

"Jedenfalls mehr als meiner", sagte Gernolf und behielt den Taxistand so stur im Blick, daß der, vielleicht beabsichtigte, Eindruck entstand, Gernolf rede mit sich selbst.

"Das ist aber auch ganz egal, denn er hat ja recht. Oder jedenfalls mehr recht als ich. Oder vielleicht hat er auch nicht recht, und ich habe recht, aber auf eine Weise, von der ich mir nichts kaufen kann. Und er sich alles."

Kurtchen sagte nichts und dachte bloß an Freds verschossene Jeansjacke. Wenn er sich alles kaufen konnte, so tat er es jedenfalls nicht.

"Du sprichst in Rätseln", sagte Kurtchen, obwohl er eine Ahnung hatte, worauf der Freund hinauswollte.

"Nimm Thomas Mann", sagte Gernolf und sah Kurtchen jetzt doch noch an. "Ich habe gestern Die Betrogene gelesen, seine letzte Erzählung. Wunderbar, wie da immer alles paßt, selbst für einen bloß halbwegs gebildeten Leser wie mich bleibt da kein Rest, geht da alles auf. Du kennst die Erzählung?"

"Die mit der Frau in den Wechseljahren, die sich in den jungen Englischlehrer ihres Sohnes verliebt, so daß sie ihre Tage wieder kriegt, und am Ende stellt sich raus, daß das nicht die Liebe ist, sondern Krebs?"

"Genau. Ist natürlich Manns Geschichte selbst: Was sich ziemt gegen das, was das Herz verlangt, die der Konvention widerstrebende Liebe als bürgerlicher Tod und, für alle, die damals noch nicht wußten, daß er schwul ist, ganz allgemein Eros und Thanatos und was für enge Geschwister die beiden sind. Das ist natürlich, in seiner Handwerker-Transzendenz, entschuldige..."

"... kein Problem."

"... wie immer ein bißchen spießig, du siehst überall die Lötstellen, das ist sagenhaft sauber verlötet, aber du siehst sie und sollst sie auch sehen, damit der Salon gleich weiß, worum es geht. Die einzige versteckte Anspielung, die er sich erlaubt hat, hat er sich auch nur erlaubt, weil sein Schwulsein damals noch nicht in der Zeitung stand."

"Du meinst die Szene im Boot."  

"Yep. Frau von Tümmler sitzt im Boot, und der junge hübsche Mann bietet ihr Brot an, aber es ist alt, und der Junge sagt: But it is hard and old!"

"Und die Frau sagt: Macht nichts, ich habe gute Zähne!"

Sie grinsten beide, Gernolfs Kaffee kam.

"It is hard and old", wiederholte Gernolf und fingerte seinen Keks aus der Packung. "Viel besser als die Bleistiftszene aus dem Zauberberg, wenn du mich fragst."

"Abgesehen davon, daß es nicht ganz logisch ist, warum der Junge einen alten Harten hat – der hat doch, wenn überhaupt, einen jungen Harten: In welche Richtung geht dein Entschluß, eher Richtung Lötkolbenprosa oder Sexualanspielung? Oder ist das eh dasselbe?" Kurtc­hen sah nach der Speise­karte, er mußte mal was essen.

Gernolf nahm einen Schluck Kaffee. "Na, die Frau kann den Harten ja schlecht haben, und einer muß ihn ja haben."

Kurtchen kam der Satz bekannt vor, und er gab sich alle Mühe, die Schublade, in der diese Erinnerung abgelegt war, nicht zu öffnen, am besten gar nicht erst zu finden.

"Stimmt auffallend", sagte er schnell und nahm ihn Kauf, daß ihm die Not solche abgestandenen Wendungen diktierte. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (67)

(Was bisher geschah)

"Kinder, Kinder!"

Kurtchen fuhr, wie ertappt, zusammen, aber Gernolf, der tatsächlich gute Laune zu haben schien, hatte nichts Ironisches im Blick, sondern wollte wohl einfach der Überraschung übers eigene Wohlbefinden Laut verschaf­fen. Er warf sich neben Kurtchen in den Stuhl, schon dann das Hinterteil auf die vordere Stuhlkante, legte die Hände wie zur Demonstrati­on auf die Lehnen und streckte die Beine weit von sich, wie um durch explizites Fläzen den Eindruck großartiger Entspanntheit zu unterstreichen.  

"Na, ausgeschlafen?" fragte er Kurtchen und äugte wohlwollend.

"Weiß nicht", sagte Kurtchen wahrheitsgemäß. "Allerdings hatte ich gestern auch nicht das im Bier, was du hattest. Auch wenn es scheint's erst mit Ver­zögerung wirkt."

Gernolf hatte keine Mühe, die Anspielung zu verstehen.

"Ach weißt du", sagte er, ironisch den Altersweisen spielend, wie er es gerne tat, "man soll die Feste feiern, wie sie fallen, und was kümmert mich frem­der Leute Geschwätz von gestern."

"Feste", sagte Kurtchen und dehnte das Wort so, daß es als Frage zu verstehen war.

"Na ja", sagte Gernolf, und die Ironie verschwand aus seiner Stimme. „Müh­sam nährt sich das Eichhörnchen. Im Ernst“, er drehte den Kopf so weit nach hinten, wie es seine Sitzposition erlaubte, und hielt Ausschau nach der Be­dienung. "Ich habe einen Entschluß gefaßt."

"Ach", machte Kurtchen und schämte sich sofort für seinen Sar­kasmus, auf den Gernolf, dem es tatsächlich ernst zu sein schien, aber nicht einging, vielleicht hatte er ihn auch nicht registriert, auch Kurtchens blaugelb schimmernde Beule war ihm noch nicht aufgefallen. Er schaute haarscharf an der Schweizer Kleinfamilie vorbei, als habe er sich vorgenommen, den Taxi­stand, der sich jenseits der Straße befand, einmal genauer in Augenschein zu nehmen.

"Weißt du", und wie zur Bekräftigung zog Gernolf die Beine an und unter sich, legte die Hände auf den Schenkeln ab und machte sich aufrecht, "dein Fred hat recht. Also, weniger mit dem Geficke jetzt, aber wie er die Sache angeht. Sein Schreiben, meine ich."

Kurtchen drehte sich in seinem Stuhl und machte, damit der Freund sich ganz auf seinen Bericht konzentrieren könnedie Bedienung auf sich aufmerksam, zeigte mit dem Finger auf seinen Kaffee und beschrieb mit demselben Finger ein paar lose Kreise, damit nonverbal „dasselbe noch mal“ in Auftrag gebend, und fragte sich unwillkürlich, was Gernolf mit dem weniger meinte. Hatte Gernolf Freds Frau also bloß weniger gefickt, als es Fred eventuell glaubte? Weniger oft? Oder weniger doll? Kurtchen begann, seine Bedenken, was ein Zusammentreffen von Gernolf und Fred betraf, zurückzustellen, die Geschichte schien noch längst nicht ausgereizt. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (66)

(Was bisher geschah)

Das Zoo-Café war gut besetzt und Gernolf noch nicht da, obwohl Kurtchen, weil er nicht hatte warten wollen, sich mit Absicht so verzettelt hatte, daß er schon reichlich fünf Minuten Verspätung herausgetrödelt hatte, als er um die Ecke bog, einen Blick auf die Uhr an der U-Bahn-Haltestelle warf und erleichtert re­gistrierte, daß noch ein Außentisch frei war. Es war noch immer altweiber­sommerlich warm, und Kurtchen mochte eigentlich nur dann auswärts früh­stücken, wenn er es draußen tun konnte, es drinnen zu tun, war ihm unange­nehm, er wußte gar nicht recht, warum; wahrscheinlich weil es für Gesell­schaft, für öffentliche Existenz zur Frühstückszeit (wann immer die im Ein­zelfall sein mochte) zu früh war und das Sitzen vor einem Lokal eine Di­stanz ausdrückte, den Unwillen, vor dem ersten Kaffee schon wieder am öf­fentlichen Leben teilzunehmen. Allein deshalb fand Kurtchen es idiotisch, im November oder März unter Heizpilzen zu sitzen, derart den freien Fri­schluftraum unters Regiment des traurig kollektiven Innen zu zwingen; Di­stanzlosigkeit, wohin man sah.

Als er saß und einen Latte Macchiato geordert hatte (unbedingt unbeküm­mert darum, ob das aus irgendwelchen trendfeuilletonistischen Gründen nun angängig war oder nicht, aber wozu war er Klempner, was gingen ihn da Trends an), überlegte er sich einen Gesichtsausdruck, nicht wie einer drein­zuschauen, dem es etwas ausmacht, allein vorm Café zu sitzen, einigte sich rasch auf den Müden Nachtschwärmer, faltete die Hände überm Bauch und versuchte, einfach nur dazusitzen, ohne sich dafür zu genieren.

Am Tisch vor ihm Richtung Straße saß eine hörbar Schweizer Kleinfamilie. Der Sohn mochte neun, die Tochter elf oder zwölf sein, und Kurtchen brauchte eine Weile, bis er be­griff, was ihn an diesem Tableau so faszinierte: Das Töchterchen war ein ausgesprochen hübsches Kind, genauer: eine Schönheit, was als Begriff auf das sichtlich vorpubertäre Gör (in der Schweiz ging ja immer alles so lang­sam) noch gar nicht anwendbar sein sollte, es aber trotzdem war.  

Das zweite Faszinosum war, daß ihm, Kurtchen, das überhaupt auffiel, er war nämlich nicht pervers (jeden­falls nicht in dieser Hinsicht, seine Perversionen erschöpften sich in der Vor­liebe für Spiegelei auf Nutellabrot und dem Drang, sich mit dem Kuli im Ohr zu kratzen, und das hatte er sich sogar abgewöhnt), und es mußte, dachte er und tunkte den Beilagenkeks in den Milchschaum, wohl so sein, daß er sich, sentimental, wie er war, soeben als Gleichaltrigen imaginierte, der mit einem Erziehungsberechtigten vor dem Café auf seinen Ka­kao wartete und zum erstenmal die Verwirrung der Gefühle schmeckte, die kaum einmal wieder so grundsätzlich, weil zutiefst rätselhaft, unschuldig und ergebnislos in Erscheinung treten würde. Und drit­tens wunderte sich Kurtchen, wo das Mädchen das her hatte, von seinen El­tern jedenfalls nicht, aber schon rein gar nicht, es mußte sich um ein Adop­tivkind handeln. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (64)

(Was bisher geschah)

Kurtchen, der schon aus Gründen der guten Gewohnheit auf der Klärung des Sachverhalts nicht hätte bestehen müssen, zögerte nun aber doch, diese An­gelegenheit auf sich beruhen zu lassen, zu staunenswert war die Möglich­keit, Gernolf könnte von einer Buchannonce so schlecht gewor­den sein, daß er sich hatte übergeben müssen, und das hatte Kurtchen ja nun noch nie gehört. Wie immer in solchen Zusammenhängen erinnerte er sich an den Himmel über Berlin, den einzigen Film, vor dem er im Kino jemals kapituliert hatte, er sah sich noch immer als Halbwüchsiger über die Lehnen der letzten Sitzrei­he ins Freie klettern, was in diesem kleinen Programmkino möglich war, weil die Bestuhlung nicht an der rückwärtigen Wand, sondern ein paar Me­ter vorher endete. Er wußte nach wie vor nicht, ob das nun ein Zeichen über­legener Frühintellektualität oder pubertärer Doofheit gewesen war, und es wäre noch immer leicht zu überprüfen gewesen, doch wann er immer diesen Gedanken hatte, sah er vorm geistigen Auge einen schwarzweißen Bruno Ganz mit Flügeln, der unfroh in den Westberliner Himmel sah, und vergaß sein Vorhaben.

Jedenfalls hatte er selbst damals nicht gekotzt, obwohl zu jener Zeit das Brechen Teil der Abendvergnügen und also nicht unüblich gewesen war.

"Aaaaah, fuck", fuhr Gernolf Kurtchen in die soeben Fahrt aufnehmende Mentalparade. "Sol­len wir frühstücken? Im Zoo-Café? Halbe Stunde?"

"Stunde", sagte Kurtchen, der ja immer noch nicht angezogen war, und überlegte rasch, ob er die Ausflugs-Affaire noch bis dahin ungeklärt bleiben lassen sollte; aber es war dies nicht recht praktikabel, vor allem nicht für den Freund. Er setzte Gernolf also in aller Kürze über den geplanten Nachmittag ins Bild und vermied auch nicht, auf Freds Anwesenheit hinzuweisen, fügte aber schnell noch hinzu, daß auch mit Irgendwie-Heiner unbedingt zu rech­nen sei, den heiklen Punkt also nach Kräften unter Vermischtem verbergend.

"Aha", machte Gernolf nur, und es klang eigentlich neutral, und Kurtchen war erleichtert, und zwar auf eine Weise, die ihn fast ärgerte. Was gingen ihn, noch einmal, die Händel der anderen eigentlich immer an?

"Muß ich das irgendwie gleich wissen?" fragte jetzt Gernolf, und Kurtchens Erleichterung saß unversehens fest im Sattel, denn der parodistische Spaß an Irgend­wie-Heiners Fehlfunktion überwog eindeutig einen möglichen Ärger über Fred, was Kurtchen als Zeichen nahm, daß an der Geschichte, Gernolf habe Freds Frau gefickt, letzten Endes doch nichts dran sei.

"Laß uns doch irgendwie erst mal frühstücken", alberte Gernolf weiter, "dann können wir ja irgendwie sehen, irgendwie. Im Moment bin ich irgend­wie gar nicht so drauf, um irgendwie Ausflüge zu unternehmen..."

"... ist ja auch irgendwie kein Ausflug", half Kurtchen gern.

"...aber später irgendwie vielleicht irgendwie ein Bier trinken", ließ Gernolf sich nicht bremsen, "irgendwie draußen, is vielleicht irgendwie doch ganz okay. Laß uns aber erst mal frühstücken. Bis gleich."

"Bis gleich, irgendwie", scherzte Kurtchen lahm.

"Nix irgendwie, ich hab Hunger, mach hin!" rief der Freund und ließ aber­mals den Hörer fallen, diesmal aber auf die Gabel und sowieso nur metapho­risch.

Hätte Kurtchen es nicht besser gewußt, er wäre sicher gewesen, Gernolf habe gute Laune. (wird fortgesetzt)

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Glanz und Elend des Kurtchen Sahne. Ein Wochenend-Fortsetzungsroman (63)

(Was bisher geschah)

Kurtchen sah Gernolfs Nummer im Display und war sofort erleichtert, denn der Anruf des Freundes entband ihn, Kurtchen, von weiteren Grübeleien, wie mit Gernolf und dem "Ausflug", der ihm schon jetzt viel zu kompliziert vorkam, als daß er nicht darüber nachgedacht hätte, seine Zusage wieder rückgängig zu machen, zu verfahren sei. Er kam allerdings gar nicht dazu, das Thema zur Sprache zu bringen, Gernolf war viel zu aufgeregt.

"Hast du das gelesen? Hast du das gesehen?" schrie er geradezu, ohne den Umweg über eine wie auch immer freundschaftliche Begrüßung zu nehmen. "Ich muß sterben, paß auf", Kurtchen hörte Zeitungspapier ra­scheln. "Eine ergreifende Familien- und Liebesgeschichte im Deutschland der 50er und 60er Jahre", deklamierte Gernolf, was im Verbund mit dem Rascheln dafür sorgte, daß Kurtchen unterstellte, es müsse sich um ein Zitat handeln. "Die Geschwister Ella und Thomas wachsen im Haus der Bildhauerin Käthe auf. Sie flüchten sich in eine eigene Welt, doch vor den Zugriffen ihrer Umgebung finden sie keinen Schutz. Kä­the", Gernolfs Stimme gewann Höhe und klang gepreßt, als fehle es da oben an Sauerstoff, "vertritt leidenschaftlich die Ideale eines neuen, bes­seren Deutschland. Den Preis haben ihre Kinder zu zahlen", Gernolf holte Luft, das Gepreßte wich einem Leiern, als schüttele Gernolf beim Reden in verächtlicher Resignation den Kopf, "Als 1961 die Mauer errichtet wird, kann niemand ihre Tragödie aufhalten, die Tragödie der Mauer oder was?", das schien nun wieder Gernolf selbst zu sein, "aaaaah, du, das ist so scheußlich, das ist heute Literatur, ich muß auf der Stelle kotzen", und mit diesem Hinweis ließ Gernolf den Hörer fallen, und dann hörte Kurtchen drei Sekunden nichts, dann klang es, als falle eine Tür ins Schloß.

Kurtchen legte, nachdem die Stille andauerte, auf, weil das die etwas un­durchsichtige, vielleicht auch einfach spastische Szene ins eventuell Filmrei­fe hob wie auch Kurtchen dahingehend salvierte, er lasse sich dann eben doch nicht jeden Blödsinn gefallen.

Allerdings stand er jetzt, immer noch im Pyjama, nicht wenig ziellos herum, weil ja anzunehmen war, daß Gernolf sich seinerseits sein, Kurt­chens, Auflegen nicht gefallen lassen würde und gleich noch einmal anriefe, eventuell dann auch Aufklärung zu leisten, was es jetzt mit Käthe, ihren Kindern und dem besseren Deutschland auf sich hatte. Kurtchen fiel ein, daß er noch immer nicht auf Petras Kurznachricht geantwortet hatte, mußte er denn noch? Oder war das mit Freds Anruf wiederum erledigt? Kurtchen be­gann, herumfliegende Wäsche vom Boden zu klauben, um, solange die Si­tuation so verwirrend blieb, wie sie nun einmal war, wenigstens in dieser Hinsicht wieder Ordnung in die Dinge zu bekommen.

Das Telefon klingelte, Kurtchen hatte jetzt einen halben Haufen Unterwä­sche unterm Arm.

"Aber sonst geht’s dir gut", sagte Gernolf vorwurfsvoll.

"Es geht", versetzte Kurtchen. "Auch dir einen wunderschönen guten Mor­gen."

"Versteht sich", sagte Gernolf. "Entschuldige, aber das war ein Notfall."

"Klar. Mußtest halt kotzen", riet Kurtchen.

"Aber wie", bestätigte Gernolf. (wird fortgesetzt)

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt