Humorkritik | Februar 2019
Februar 2019
Ich halte es ohnehin mit einem Spruch, den ich vor langer Zeit gehört habe: Werde die Person, mit der du gern zusammen wärst. Wenn du gern mit jemandem verheiratet wärst, der einen guten Humor hat – entwickle selbst diesen Humor.
Gloria Allred
Kein Genazino
Im Mai 2018 habe ich es mir an dieser Stelle leichtgemacht und anlässlich von Wilhelm Genazinos neuem Roman »Kein Geld, keine Uhr, keine Mütze« einfach eine damals zwei Jahre alte Humorkritik kopiert – anspielend auf Genazinos Formprinzip und die Serialität seiner im Zweijahresrhythmus erscheinenden, jeweils etwa 150 Seiten umfassenden und weitgehend inhaltsähnlichen Romane. »Zur Wiedervorlage 2020« schloss ich meinen Text.
Genazinos jeweils aktuelles Buch ließ sich vor allem durch herzhaftes Zitieren empfehlen; kaum ein Autor, in dessen Büchern ich so viele markante, aphoristische, überraschende Sätze anzustreichen pflegte, Sätze, die irgend jemand mal in einem Handbuch für alle Lebenslagen sammeln sollte. Mit einem solchen Brevier wäre man jederzeit mit Trost und Rat ausstaffiert und hätte zudem eine präzise Beschreibung der Gesellschaft, in der wir leben. Dabei war Genazino kein »Geschichtenerzähler«, sondern ein Protokollant der »Gesamtmerkwürdigkeit des Lebens« (»Ein Regenschirm für diesen Tag«, 2001), möglicherweise ähnlich kompliziert veranlagt wie seine stets männlichen einzelgängerischen Figuren, aber von größter Menschenfreundlichkeit. Durch sie erklärt sich die eigentümliche Komik, die seine Bücher auszeichnet; eine dezente Komik, die auf der Erkenntnis menschlicher Schwäche basierte, einem Faible für Peinlich- und Vergeblichkeiten, die Fallhöhe zwischen Anspruch und Wirklichkeit und, bei aller Melancholie, das Lächerliche, das unsere Existenz ausmacht. Im Aufsatzband »Der gedehnte Blick« (2004) bezeichnete Genazino Komik als eine »Form des Widerstands gegen den Funktionalismus der Lebenswelt«, weil »wir fühlen, dass wir nicht ganz passend sind«. So erging es allen Genazino-Helden, deren ständiges Leiden unter ihrer unpassenden Existenz einherging mit einer subtilen Renitenz, die sich abermals im Komischen ausdrückte und auslebte: »Das Komische ist eine uns oft nicht bewusste, von vielen auch geleugnete Möglichkeit, zu den Tatsachen der ›Realität‹ nicht allgemein gebilligte Haltungen einzunehmen«, schrieb Genazino 2008 in dem Bändchen »Die Tugend die Trauer das Warten die Komik«: »Die Anlässe des Komischen sind radikal subjektiv und deswegen für Dritte nicht immer sofort verständlich oder einsehbar. Denn die komische Kompetenz ist ein Verhältnis zwischen äußerer Anregung und innerer Anrührung.«
Innere Anrührung: das ist mein Stichwort und mein Befinden. Denn am 12. Dezember 2018 ist Wilhelm Genazino einfach so gestorben. »Zur Wiedervorlage 2020«, das war meine Pointe; und Genazinos Pointe war, dass er das einzige getan hat, was meine Pointe durchkreuzen konnte. Wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätte einer wie er, der so zuverlässig wie regelmäßig so ähnliche wie einzigartige Romane hervorbrachte, außerhalb der Zeit stehen und also unsterblich sein müssen.