Humorkritik | Februar 2018
Februar 2018
Ewig weiterleben; – ich räume ein, es hat ein bißchen was Komisches, aber es gibt wenig ernste Sachen, die nicht auch eine komische Seite hätten.
Theodor Fontane, »Der Stechlin«
Banker mit Gefühl
»Beim Blick auf Bilanzen, Soll und Haben, Plus und Minus breitet sich ein wohliger Schauder im Körper aus – Ziffern, die man addieren und multiplizieren kann, erscheinen wie Poesie für Zahlenmenschen.« So ein Zahlenmensch ist zum Beispiel der ehemalige Deutsche-Bank- und Hypo-Real-Estate-Banker Axel Wieandt, dem die »Bunte« hier Reverenz erweist: als einem »Manager der großen Zahlen«, einem »Mann mit einer ungewöhnlichen Begabung in einer Branche, in der viel gerechnet und wenig fabuliert wird«. Grund der Begeisterung: Wieandt schreibt Gedichte. »Meist sind es kurze, nachdenkliche Verse, Zeilen voller Sehnsucht nach dem gelingenden Leben und großen Gefühlen.« Die zwar nicht auf dem freien Markt, sondern nur in der Nationalbibliothek erhältlich sind, aber das ist mir in meiner grenzenlosen Neugier kein Hindernis.
Nun denn: Wieandt würde »gerne eine Rose / in deiner Reisetasche sein, / eine Zigarette, die nie / vor deinen Lippen verglimmt, / eine Wimper, die auf / deinen Wangen ruht, / ein Spiegel, der dein Antlitz / betrachtet, / ein Kuß, der deine / Stirn bedeckt«. Denn »seit ich aus den Augen dich verlor, / vergießen Pianotränen meine Schmerzen«; und nicht etwa umgekehrt, was genauso sinnvoll gewesen wäre. Zum Glück ist da »ein Graugansschwarm im Fliegen / läßt die Quelle des Hoffnungssprudels nie / versiegen«. Darauf ein Glas Sprudel – aber nur piano prickelnd, hoffentlich.
Offen geht Wieandt mit der Melancholie und den Selbstzweifeln der Leistungselite um: »Er erfüllt wie kein zweiter seine Pflicht, / ist auf Lob und Anerkennung erpicht: / nach oben gerichtet sein Gesicht – / ob die Blickrichtung hält, was sie verspricht?« Wo aber Richtungen Versprechen geben, stimmen auch die Adjektive: »Verständnisvolle Enttäuschungen, / blasen wie warmer Wind / durch mein fahles Haar«. Und die Metaphern purzeln durchs »Delta unserer Gedankenflüsse«, wiewohl glasklar feststeht: »Gedanken können nirgends bleiben«. Am besten gefiel mir das Gedicht »Zerreißen«: »Mich zerreißt’s von innen, / bin schon ganz von Sinnen, / ein Magenkrampf, / ich steh unter Dampf / vor lauter Kampf, / wozu, wofür, wogegen? / Mich fremde Kräfte bewegen.«
Wozu, wofür? Das wüßte ich auch gern. Vor allem aber: An wen erinnert mich Wieandt denn nun? Helene Fischer? Franz Josef Wagner? Ein Übersetzungsprogramm? Nein, jetzt hab ich’s: Er ist die Julia Engelmann der Bankenwelt. Beweis: »Ich schaue durch die Scheibe: Der Zug fährt weiter, Menschen und Umständen entfliehend, dem Neuen entgegen, das wie ein Baum im Vorbeifahren von einem auf den anderen Augenblick zum Déjà-vu wird … Manchmal fällt es uns schwer, das unsrige compartiment zu finden … Er huscht an Einbahnweichen, an vagen Signalen vorbei, deren Sprache wir nicht kennen, die wir nicht stellen können.«
Gut erkannt, Baby.