Humorkritik | Mai 2017

Mai 2017

»Das war wieder The Joy of Grief, die Wonne der Tränen, die ihm von Kindheit auf in vollem Maße zuteil ward, wenn er auch alle übrigen Freuden des Lebens entbehren mußte. Dies ging so weit, daß er selbst bei komischen Stücken, wenn sie nur einige rührende Szenen enthielten, als z.B. bei der Jagd, mehr weinte als lachte …«
Karl Philipp Moritz, »Anton Reiser«

Eiskalte Elsner

Gisela Elsner, deren Selbstmord sich am 13. Mai zum 25. Mal jährt, wäre am 2. Mai 80 Jahre alt geworden, und gerade bei einer, die sich »schmutzige Satirikerin« nannte und die Enzensberger für eine »eiskalte Humoristin« hielt, ist das reichlich Anlaß für die Wiederlektüre. Zeitlebens hat sich die westdeutsche Kommunistin Elsner an nachkriegsdeutscher Bürgerlichkeit abgearbeitet, beginnend mit ihrem früh preisgekrönten Romandebüt »Die Riesenzwerge«, in dem bereits kein gutes Haar auf dem anderen bleibt, wenn es, da dürfen wir dem Verlagstext trauen, darum geht, »Tarnformen sozialer Vergewaltigung zu entdecken«. Und tatsächlich stupend ist Elsners Blick, den ich nur deshalb nicht sezierend nennen will, weil ich nicht wie Feuilleton klingen mag, dem gleichwohl nicht das allermindeste am falschen, gelogenen, darin gewalttätigen Leben entgeht. Die Satirikerin Elsner entstellt zur Kenntlichkeit, indem sie die Rituale der Bürgerlichkeit en détail zur Sprache bringt und, zumal in der frühen Prosa, bis ins gleißend Groteske verdichtet, und dieser psychologische Hyperrealismus ist erst einmal glänzend, dann ermüdend, und irgendwann, na ja, da nervt er.

Das liegt nicht bloß daran, daß die (klein-)bürgerliche Welt, zumal im Sexuellen, sich seit 1970 (»Das Berührungsverbot«) dann doch verändert hat, sondern auch am Ton, dessen decouvrierende Absicht zur Penetranz wird – zumal in Elsners bevorzugter Stilfigur, der halb kühlen, halb höhnischen Repetitio – und der sich den Triumph, es besser zu wissen, sowenig verkneifen kann wie der verwandte, noch ärger arretierte Elfriede Jelineks. Wenn ich recht habe und »eiskalte Humoristin« ein Oxymoron ist, dann fehlt Elsner jenes Mindestmaß an Empathie, ohne das es keinen Humor gibt, was etwa auch den späteren Erzählband »Die Zerreißprobe« (der das banale Leben, damit auch gar kein Zweifel mehr bleibt, mit dem Flutlicht Kleistscher Hypotaxen ausleuchtet) unter satirischer Selbstbesoffenheit leiden läßt und die Figuren, wie schon in den »Riesenzwergen«, zu jenen grellen Monstern macht, die sie doch nicht sein dürfen, will man das Leben als Geisterbahn zeigen und nicht eine Geisterbahn als Geisterbahn.

Das war der Kniff Thomas Bernhards, vom vergleichbar gnadenlos Vorgeführten durch ganz offenes, verrücktes, im Effekt selbstironisches Übertreiben zu entlasten und also den Erzähler so unzuverlässig zu machen, daß Luft für Komik blieb und das Monströse sein Menschliches behielt. Für die eiskalten, chirurgischen, zweifelsfreien Artefakte Elsners dagegen – Satiren, bei denen es nichts zu lachen gibt –, scheint mir zu gelten, was der Renaissance-Architekt und Universalgelehrte Leon Battista Alberti über die rechte Anzahl Villen gesagt haben soll, mit der es sich wie mit Kindern verhalte: Eine sei zuwenig, drei seien zuviel, zwei genau richtig. (Ich empfehle die vergleichsweise diskreten Beziehungsromane »Abseits« und »Die Zähmung«.) Und darin ist Elsner Jelinek, mit der sie oft verglichen wurde, allerdings voraus: Da schaff ich nicht einmal zwei Sätze.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt