Humorkritik | Januar 2017

Januar 2017

»… was wir Deutschen Humor nennen, die wunderbare, aus der tiefsten Anschauung der Natur geborne Kraft des Gedankens, seinen eignen ironischen Doppeltgänger zu machen, an dessen seltsamliche Faxen er die seinigen und – ich will das freche Wort beibehalten – die Faxen des ganzen Seins hienieden erkennt und sich daran ergetzt …«
E.T.A. Hoffmann

Garten aus Beton

Warum, seit Knausgård und Stuckrad-Barre, das sog. »Memoir« so gängig geworden und Literatur immer häufiger Nicht-Fiktion ist, soll die Literatursoziologie klären. Es wird, wenn sie mich fragt, irgendwas mit der Sehnsucht nach dem »Echten«, Analogen zu tun haben, die in unseren virtuellen Zeiten gewachsen sein mag; mit Nostalgie freilich auch, wenn die gleichaltrige Kundschaft goutiert, was ihr bekannt vorkommt. Drittens ist streng autobiographisches Erzählen ein vergleichsweise unkomplexes, was sowohl Herstellung als auch Konsum vereinfacht. Auch das ist zeitgemäß.

Aus der Gattungsfrage muß freilich kein Qualitätsproblem werden, und daß in Andreas Mands bei Maro erschienenem (Tagebuch-)Roman »Der zweite Garten« Erzähler und Autor so völlig identisch sind, ist sogar für eine verstörende Pointe gut. Es gibt jedenfalls keinen Grund zu vermuten, daß Mands Held, der als erfolgloser Schriftsteller in Minden/Westfalen eine Familie samt Eigenheim betreibt (die Frau ist Lehrerin und verdient das Geld), sich von Mand, der in Minden/Westfalen lebt, seit 25 Jahren Romane veröffentlicht, aber trotz wohlwollender Rezensionen (und einem Lob Genazinos) so gut wie vergessen ist, mehr als theoretisch unterscheidet. Er ist zum Hausmann geworden, »das Leben wie zerhäckselt von Alltagspflichten und Terminen«, und mit diesem Alltag aus Elternabend, Spülmaschine und scheiterndem Schreiben füllen sich Leben und Buch. Eine zart karge, tragikomische Hängeschulterprosa aus der exemplarischen Mittelstandshölle, die sich gerade der Schriftsteller nicht ärger ausmalen muß: »Ich war seit Wochen nicht mehr im Garten und habe auch nicht, wie voreilig angekündigt, den Keller aufgeräumt. Ich sitze die ganze Zeit in meinem Zimmer und schreibe und lese, aber nichts, was uns weiterhilft. Titel wie PFLASTERN MIT BETONSTEINEN oder SELBST MAUER- UND PUTZSCHÄDEN REPARIEREN liegen unberührt auf dem Plexiglastischchen.«

Realität essen Fiktion auf: Bedenke ich’s recht, ist das sogar um eine Formschleife abgründiger als beim Quasidiaristen Wolfgang Welt (TITANIC 8/2016) und dessen universalpoetischem Glauben daran, daß sein Leben schon ein Roman war, bevor es einer wurde. Mands Roman hingegen ist ein reichliches Jahr nach Erscheinen Selbstgespräch geblieben: 0 Kundenrezensionen beim großen Online-Händler, wahrscheinlich ähnlich viele Käufe. Eine (Meta-)Pointe, zu welcher ich dem Autor freilich nicht gratulieren mag.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg