Humorkritik | Juli 2015
Juli 2015
»So berührte er die beiden Pistolen in seinen Taschen; es blitzte in seinen scharfen grauen Augen plötzlich auf, und er brach in ein unbändiges Gelächter aus, wie er seit Dezennien nicht mehr gelacht hatte, in ein wahres Schulbubengelächter.«
Conrad Ferdinand Meyer, »Der Schuß von der Kanzel«
Recycelt
Über die Sinnlosigkeit des Daseins schreiben zu wollen, ohne in Sartresche »Ekel«-Tiefen abzustürzen, ist ein Risiko. Das fertige Buch dann auch noch »Wie der Müll geordnet wird« zu nennen, gerade, wenn es sich dabei um drei deutlich voneinander getrennte Texthaufen handelt – der erste ein Zettelkasten, der zweite ein alter, unvollendeter Liebes-, Kriminal- und Abenteuerroman, der dritte ein lapidarer zwölfseitiger Kurz- und Abschluß –, könnte den bösmeinenden Kritiker schon gar zu sehr zum Wörtlichnehmen verlocken. Bzw: die bösmeinende Kritikerin (Meike Feßmann im »Deutschlandradio Kultur«: »redundant«, »bequeme Notlösung«). Ich hingegen meine es, wie man weiß, stets gut, und allzu offene Flanken greife ich ungern an – zumal mir Iris Hanikas neuer Roman (Droschl) nicht übel gefallen hat. Wenigstens dessen erster Teil, der Zettelkasten.
Antonius, 50+, ehemaliger Bewohner einer Irrenanstalt und reicher Erbe, Menschenhasser weniger aus Passion denn aus Vorsatz, entscheidet sich für das Sinnlose. Jeden Morgen, vor Eintreffen der Müllabfuhr, sortiert er den Abfall seiner Nachbarn. Als er von der Existenz eines »Stammtischs der Müllaufräumer« erfährt und merkt, sich »mit seiner Müllkontrolle genau in der Mitte der Gesellschaft« zu befinden, stellt er sie wieder ein. Vorher aber findet er beim Stöbern ein orangefarbenes Notizbuch, in dem eine gewisse Renate ihre Verschwindenswünsche und Trauerqualen niedergeschrieben hat; Antonius beginnt zu lesen, kommentiert, korrigiert, phantasiert und erinnert sich.
Viel mehr passiert eigentlich nicht, der komische Reiz der Lektüre liegt in den Details: Antonius verfaßt etwa Listen, so die »Liste vorbildlich sinnloser Tätigkeiten«, die »Liste unangenehmer Stimmen« (Maria Callas!) oder die Liste »Schwachsinn des Tages«. Auf letzterer notiert er z.B., »daß jemand im Protest gegen Leute, die wiederum gegen den Staat protestierten, auf die Straße geschrieben hatte: ›Die Freiheit des einen beginnt erst dort, wo die des anderen endet‹. Darüber mußte er sehr lange nachdenken. Er konnte nicht entscheiden, ob dieser Satz dasselbe bedeutete wie der allseits bekannte ›Freiheit ist immer die Freiheit von Radio Luxemburg‹ oder aber, daß niemand frei sei außer dem Tyrannen, oder aber völlig unsinnig war.« Seinen Hang zu solchen Abschweifungen teilt Antonius übrigens mit der Autorin Hanika, die sich überhaupt gerne einmischt, lehrreiche »Fun Facts« über Dostojewski in die Handlung streut oder Fußnoten einschiebt: »Die Autorin distanziert sich ausdrücklich von dieser Beurteilung … und verweist darauf, daß dem vorliegenden Werk keinerlei eigenes Erleben (›Autobiographie‹) zugrundeliegt, sondern es sich insgesamt um ein Produkt ihrer Einbildungskraft (›Fiktion‹) handelt.« Wenn es um die »Liste unangenehmer Stimmen« geht, wird Hanika aus Scheiß gar zur Selbstzensorin: »Um nicht durch Beleidigungen Mißmut in die Welt zu bringen, wurden die Namen noch lebender Besitzer unangenehmer Stimmen unkenntlich gemacht.« Man merkt: Mitunter wird der Witz ein bißchen gar zu akademisch. Aber wenn zwischendurch medizinisch höchst unscharf geschnoddert wird: »Letzthin wurden aber Versuche an Mäusen gemacht, die haben da irgendein Gen oder Vitamin weggelassen oder hinzugefüttert, und dann ist den Mäusen das Herz wieder nachgewachsen, wenn es kaputt war«, dann bin ich eigentlich ganz zufrieden und versöhnt. Zumindest mit Teil 1 dieses Romans, der in mein Ressort fällt. Über Teil 2 und 3 mögen die Feßmanns dieser Welt räsonieren.