Humorkritik | September 2014

September 2014

Humorismus.de

Der jähe Ruhm per Internet dürfte für den alten Fahrensmann Friedrich Liechtenstein (57) ebenso überraschend gekommen sein wie für Edeka, die Werbeagentur Jung v. Matt und mich; noch mehr verblüfft mich allerdings der exaltierte Reflex in den meisten deutschen Feuilletons. Das Ausdemhäuschensein hat spätestens seit der Veröffentlichung der CD »Bad Gastein« viele erfaßt, von Bild bis zur Süddeutschen Zeitung; für jene ist Liechtenstein schlicht »Deutschlands berühmtester Opa«, für diese ein »Großmeister der Ironie«.

Ein Meisterschüler namens Jens-Christian Rabe spricht in der SZ dieses große Wort gelassen aus. »Wobei es, leicht gesagt, dahinbehauptet ist, daß dieser Mann und seine Kunst etwas Großes sind.« Aber: »So vollkommen selbstverständlich, wie man das in der besten aller Welten vielleicht gerne hätte, ist es natürlich nicht. Und das hat zwei Gründe: die verdammte Ironie und das, was in Deutschland unendlich krampfig ›Humorismus‹ genannt werden muß, weil Otto Waalkes und Heinz Erhardt den Begriff des Komikers ruiniert haben, das deutsche Kabarett den des Satirikers und Pro Sieben den des Comedian.«

Ein dermaßen verkrampftes Geschichtsbewußtsein findet man gemeinhin nur bei religiösen Fundamentalisten. Da ich vom Humorismus vor Rabes Definition noch niemals sprechen gehört hatte, wollte ich das Stichwort recherchieren und war nur mäßig überrascht, den ersten Google-Eintrag unter www.religionsforum-wogeheichhin zu finden.

Dort habe ich erfahren, daß gerade eine »neue Weltreligion entsteht: der Humorismus«. Besonderheit: »Dieser Glaube bietet als einziger die Möglichkeit, alle psychischen Probleme der Menschheit durch nur ein einziges Gebot zu lösen und ersetzt alle vorherigen Religionen als solche. Das Erkennungszeichen für Gläubige untereinander ist ein Lächeln. Das erste und einzige Gebot lautet: Lerne über dich selbst zu lachen!«

Zu diesem ergotherapeutischen Lehrsatz paßt wiederum Rabes gutgläubige Dahinbehauptung: »Deshalb sind Ironie und guter Humor im Grunde dasselbe. Ironie, insbesondere die von Friedrich Liechtenstein, ist aber auch die freundlichste, gütigste und tröstlichste Form des Widerstands. Und Entertainer wie Friedrich Liechtenstein sind nichts weniger als Boten einer besseren Welt.«

Bleibt die rhetorische Doppelfrage: Ist nun Friedrich Liechtenstein wirklich der langersehnte Messias der deutschen Komikgemeinde, ostelbischer Götterbote und Humorismuspapst? Oder nicht eher ein Roger Whittaker für durchgeknallte Feuilletonisten, der seinen geschmeidigen Brummbaß nutzt, um sie mit Texten, die schon im Berlin der Zwanzigerjahre etwas verstaubt geklungen hätten, in den schwerverdienten Schlaf der Vernunft zu singen?

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg