Humorkritik | September 2014

September 2014

Ein Nachtrag

Am 12. Juni 2014 und auch noch die Tage darauf veröffentlichte die FAZ Nachrufe und Epitaphe zugunsten ihres kurz zuvor verstorbenen Herausgebers Frank Schirrmacher; und hat dabei über ca. 37 Riemen hinweg nichts unversucht gelassen, dem Toten Größe, Bedeutung, ja Unsterblichkeit aufzumeißeln, als wären mindestens fünf Nobelpreisträger der Kategorie Albert Einstein gleichzeitig abgetreten.

Es war beschämend, es war sehr peinvoll. »Ein Großer« und »Genie« waren noch vergleichsweise maßvolle Bezeichnungen. »Einzigartigkeit« war auch dabei. »Themen-Kapitalist, der auf die Akkumulation von Ideen setzt«, ergänzte flankierend Jakob Augstein im Spiegel und wußte hoffentlich einigermaßen, wovon er da faselte. »Mann der Zukunft« arrondierte wieder etwas simpler die FAZ selbst überschriftlich. Der Contenanceverlust war tagelang kaum mehr auszuhalten.

In Tat und Wahrheit war Schirrmacher bei der FAZ seit 1987 führend tätig als Blender, als Wurstel, als schwerst umtriebiger Wellenschläger. Ein Idealtypus dessen, was auch in den Köpfen von Provinzjournalisten seit je »Aufreißer« (von Themen, Aktionen, Skandalen, Scheindebatten usw.) genannt wird. Schirrmacher im besonderen war Superlativist des ohnehin oder vermeintlich Großen: »Der Journalist des Jahrhunderts« rief er schon am 8.11.02 Rudolf Augstein machtvoll nach, und ähnlich erging es im Lauf der Jahre und Jahrzehnte egalweg Kempowski, Fest, Kafka, Habermas, Hanspeter Brezelmeier, Lloyd de Maus – und zuletzt und schon vollkommen verratzt ereilte es auch noch Raddatzens sonst eher schon wieder vergessene Tagebücher: »Dies ist endlich der große Gesellschaftsroman der Bundesrepublik«, so im Ernst F. Schirrmacher; und derart des Vorgängers Reich-Ranicki steten Ruf nach diesem zum Schweigen bringend.

»Ein Großer«. Die Deutschen und leider auch die FAZ-Verantwortlichen schätzen eben nichts so innig wie den Erfolgreichen bzw. den an andere Erfolge tapfer sich Ranwanzenden. Ein besonders erfolgreicher und eigentlich naheliegender Trick dabei ist, vor allem pro domo das Große oder wenigstens Erfolgreiche zu preisen, laut und sinnfrei und risikolos; und sei es noch so hanebüchen: »Rudolf Augstein ist tot und: Diese Erfahrung hat das Land nun auch gemacht. Viel mehr solcher Erfahrungen sind nicht mehr übrig. So ließe sich Lessing variieren …« (Schirrmacher).

Es sei denn die jetzt über Deutschland hereingebrochene variierende Erfahrung, daß nun auch Schirrmacher tot ist. Tja.

Ist das alles nun komisch? Gar lustig? Oder im Gegenteil?

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick