Humorkritik | November 2014

November 2014

Schlechte Gedichte müssen schon außerordentlich gut sein, um wirklich komisch zu sein.
Peter Hacks

Agentin mit Herz

Ist Julia Trompeters Debütroman »Die Mittlerin« wirklich »eines der komischsten Bücher des Jahres«, wie die Welt schon Anfang August in einem Sammelartikel behauptete? Komisch ist auf jeden Fall seine metafiktionale Anlage. Auf eine erfrischend altmodische Weise erinnert sie an postmoderne Romane der frühen Siebziger, an Raymond Federmans »Alles oder nichts« z.B., der von den verzweifelten Bemühungen eines jungen Mannes erzählt, seinen ersten Roman vorzubereiten. Hier ist die Heldin allerdings eine widerspenstige Dichterin, die sich zwischen allen Stühlen sieht, »mit halbem Arsch Philosophin, mit halbem Onlineredakteurin und, wenn ich noch mehr Hälften hätte, warum eigentlich nicht, mit der dritten Hälfte Teilzeitbrotfachverkäuferin«. Von ihrem Verlag ist sie zum Prosawerk genötigt worden. Nun möchte sie über ihre Erzählunlust bzw. -unfähigkeit einerseits sowie den verehrten Thomas Bernhard andererseits schreiben, selbstverständlich auch in dessen Duktus.

Was man im Betrieb indes von solchen selbstreferentiellen Sperenzchen hält, wird im Prolog deutlich gesagt: »Sie brauchen einen Plot«, monologisiert dort die Verlagsfrau, »sonst wird das, was Sie vorhaben, keiner lesen und drucken sowieso nicht. Denken Sie sich eben etwas aus. Eine Vorgeschichte, die die Motivation der Hauptperson klarer werden läßt! … Und mein zweiter Tip: Sperren Sie den Bernhard in den Giftschrank. Wir bekommen jedes Jahr massenweise Manuskripte im Bernhard-Stil. … Wir haben einen Autor im Programm, der arbeitet sich auch am Bernhard ab –, aber der ist eben auch brüllend komisch dabei.«

Wie diese Ansprüche dann enttäuscht werden, das ist ebenfalls komisch. Anschließend gibt es nämlich kaum etwas an Plot und nur das Nötigste an Vorgeschichte. Dafür um so mehr schlingernde Gedanken und Mutmaßungen über Thomas Bernhard, später auch Aristoteles und vor allem über die freundliche und nur ein kleines bißchen rätselhafte Literaturagentin, die die Erzählerin zum Schreiben des Romans drängt. Mehrere Treffen mit der »Mittlerin« genannten Fachfrau finden statt, das letzte in deren Datsche im Berliner Umland; zwischendurch folgen wir den Beobachtungen und Alltagsverrichtungen der Protagonistin, wie sie zum Roman werden, sowie ein paar ihrer Halluzinationen, unter anderem von einer Liebesnacht mit einem Cordhut tragenden Bären.

Dennoch bleibt die Komik des Ganzen eher feinsinnig. Mag sogar sein, daß das Buch der promovierten Philosophin und Germanistin hin und wieder ein wenig zu anspielungsreich und raffiniert daherkommt; gottlob läßt es sich jedoch auch ohne größere Dechiffrierarbeiten vergnüglich lesen. Ob es damit aber eines der komischsten Bücher des Jahres ist? Letztgültig kann das wohl nur der entscheidungsstarke Humorkritiker sagen, den ich mir demnächst einmal selbst erschreiben muß.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg