Humorkritik | März 2014

März 2014

Russells Lehren

Das war schon erstaunlich: wie der britische Schauspieler, Autor und Comedian Russell Brand knapp zwei Stunden lang schwadronierend, fluchend, ausgelassen gestikulierend und mäßig schwitzend sein aktuelles Programm »Messiah Complex« runterspielte; wobei das Erstaunliche freilich nicht war, daß ein routinierter Komiker seinen Job erledigte, sondern daß er dies in einer zu neun Zehnteln gefüllten Konzerthalle in Deutschland tat.

Da saßen also gut zweitausend junge bis mittelalte Leute mit Muttersprache Deutsch (ein paar Amerikaner und Australier – »There’s always some of them!« – bildeten die Minderheit) und hörten sich mit offensichtlichem Vergnügen den ausufernden Monolog des zotteligen Energiebündels an. Die dem Programm vorausgeschickte Frage, was große Persönlichkeiten – konkret: Gandhi, Malcolm X, Che Guevara und Jesus – ausmache und was diese jeweils mit Russell Brand gemein hätten, wurde anhand von launigen Anekdoten, Analogien und etlichen Volten zu beantworten versucht, wobei am hübschesten eine Nummer über den gemeinsamen Realschullehrer von Hitler und Wittgenstein ausfiel: Was der wohl abends seiner Frau erzählt habe von diesem einen Jungen, der ihn mit existentiellen Fangfragen überrumple, und dem anderen, fies dreinblickenden, der dauernd wissen wolle, ob er, der Lehrer, Jude sei ... Geradezu stürmisch feierte das Auditorium die Betrachtungen über die kosmische Bedeutung von Homosexualität: Ob es in einem Sonnensystem, das, berechne man die es enthaltende Galaxie auf die Fläche Europas herunter, die Größe einer Kaffeetasse habe, »irgendeine Bedeutung hat, wenn sich zwei Männer gegenseitig in den Arsch ficken?«

Gerne hätte ich am Ende einzelne Zuschauer gefragt, warum sie dafür bis zu 80 Euro gezahlt hatten. Wußten sie, was sie erwartete? Nämlich eine bekömmliche Mischung aus Selbstdarstellung, Publikumsinteraktion, Sodomiewitzen, Kapitalismuskritik, philosophischen Grundkurs-Schnipseln und erfreulicher Zotigkeit? Oder kennt man Russell Brand hierzulande eher als Hollywoodmimen und Ex-Mann von Katy Perry? Ist Brands Bekanntheitsgrad wegen seiner Aufmerksamkeit erregenden Essays gewachsen (zuletzt verurteilte er im Guardian die amerikanischen Drogengesetze)? Oder besteht plötzlich ein allgemeiner Bedarf an ausländischen Bühnenkomikern (auch Eddie Izzard tourt – allerdings in jetzt erst zu diesem Behufe angeeigneter deutscher Sprache – durchs Land)? Ich persönlich hoffe auf Letzteres, denn … naja – zwingen Sie mich nicht, mich wieder über die deutsche Comedyszene auszulassen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg