Humorkritik | Dezember 2014
Dezember 2014
Wer am Freitag lacht, der wird am Sonntag weinen.
Jean Racine
Die Kunst der Bausünde
Mit gelinder Verspätung ist mir der 2013 erschienene Bildband »Die Kunst der Bausünde« zu Augen gekommen (Quadriga Verlag). In diesem opulent illustrierten Werk hat die Kunsthistorikerin Turit Fröbe vielerlei architektonische Greueltaten dokumentiert. Wir kennen sie alle, und doch schärft es den Blick, wenn man sie unter der kundigen Führung der Verfasserin einmal in großer Zahl Revue passieren läßt: Zu sehen sind geschwulstartige postmoderne Auswüchse an bemitleidenswerten Baudenkmälern, monströse Balustraden, abstoßende Hochglanzziegel, klosettkachelige Außenwände, funktionslose Röhrengebilde, disharmonisch gestaltete Portale, schaurige »Erker-Eier«, grauenerregend verkleidete Hausfronten, massive Betonlawinen, finsterste Fußgängertunnel, überambitionierte Spiegelfassaden und auch zwei schmuddelige Kirchen; die eine »im Bunkerstil«, die andere »im Parkhausstil«. Doch nicht immer sind die Architekten schuld. Mit Hilfe des örtlichen Baumarkts kann jeder Eigenheimbesitzer Bausünden begehen und beispielsweise seinen Hauseingang mit einer Markise veredeln, die jedem Passanten signalisiert, daß hier ein geschmackloser Wicht wohnt, den man schleunigst enteignen sollte.
Zur Not tut’s auch ein deplazierter Marmorlöwe.
Das Schöne ist jedoch, daß Turit Fröbe in ihren Bildkommentaren und in den kleinen Essays, mit denen sie die thematisch gebündelten Fotostrecken unterteilt hat, überhaupt nicht ausfällig wird. Sie unterscheidet gewissenhaft zwischen guten und schlechten Bausünden und widmet sich selbst den schlechten mit der fast zärtlichen Zuneigung einer leidenschaftlichen Sammlerin. Und sie schreibt so elegant, daß sich die Beschaffenheit der einen oder anderen Bausünde auch ohne Fotobeweis erschließen könnte: »Die Traufe wurde liebevoll mit einer Gaube durchbrochen, mit dem Ergebnis, daß die Bewohner nun freie Sicht auf die Dachrinne haben.«
Ein sehr empfehlenswertes, lehrreiches und hochkomisches Buch.