Humorkritik | Juni 2012

Juni 2012

Polt im Großen & Ganzen

Vor und nach dem stattgehabtem 70. Geburtstag des Universalkomikers Gerhard Polt (TITANIC 5/2012) Anfang Mai hatte ich die Pflicht und freilich auch das Vergnügen, mich durch die zahlreichen Jubiläumsveröffentlichungen zu arbeiten. Und da Weihnachten und der damit unvermeidlich einhergehende Nikolausi praktisch schon unmittelbar vor der Tür stehen, bitte ich, die nun erhältlichen Paketlösungen bereits jetzt sicherzustellen, damit man sie vor dem Verschenken noch in aller Ruhe und mindestens mehrfach durchhören und -lesen kann.

Zum Jubiläum hat Polts hauptamtlicher Verlag Kein&Aber sein Frühjahrsprogramm vollständig in den Dienst der Jubilarsverherrlichung gestellt und dessen nahezu gesamtes bisheriges Lebenswerk aufs schönste aufbereitet. Das schriftliche bzw., soweit es die Bühnentexte betrifft, verschriftete Gesamtwerk wurde zu einer handlichen, schon jetzt unentbehrlichen Buchkassette (»Bibliothek«, Werke in zehn Bänden) verarbeitet: zehn farblich fein abgestimmte Bändchen im Schuber, in denen Polts Texte nicht chronologisch, sondern nach Themengruppen neu versammelt sind. Ein Werksverzeichnis findet sich im beigefügten, »Paralipomena« betitelten Materialienbändchen, das neben einigen Fotos aus Kinder- und Jugendtagen auch allerhand Fanpost, Programm- und Vertragszettel enthält; außerdem einen faksimilierten Schulaufsatz des ca. zehnjährigen Gerhard, der bereits dessen Fähigkeit zur komikgenerierenden Perspektivverschiebung zeigt: In Altötting hat der kleine Gerhard – »weil ich mich langweilte« – eine Fensterscheibe eingeworfen. »Als ich daheim anlangte, wartete schon der Kochlöffel auf mich. Aber das mußte er büßen, denn als ich die Prügel spürte, brach er ab.«

Leider sind den vielen schönen kleinen Stückchen weder in den Bänden noch im Werkverzeichnis Jahreszahlen zugeordnet – was bei einem Werk, das sich von 1976 bis heute erstreckt, hilfreich gewesen wäre. Man kann sich jedoch die Entstehungszeit der einzelnen Opuscula, wenn auch mühsam, mit der gleichfalls bei Kein&Aber erschienenen Jubiläumsbox »Opus Magnum« (9 CDs im Schuber) erschließen, in der Polts sämtliche Soloplatten von »Der Erwin I« (1977) bis »Apokalypsen« (2008) versammelt sind. Mit Polt auf den Ohren bist du niemals verloren!

Wie aber überhaupt die Biographistik im Poltschen Universum keine allzu große Rolle zu spielen scheint. Das mag zuvörderst am Jubilar selber liegen, der sich bis heute mehr oder weniger erfolgreich gegen ein Biographiertwerden sträubt. »Ein Mensch, der lebt, verdient keine Biographie«, dekretiert Polt schon auf der Bauchbinde des ebenfalls bei Kein&Aber erschienenen Interviewbandes »Gerhard Polt und auch sonst. Im Gespräch mit Herlinde Koelbl«, in welchem sich Polt von der befreundeten Fotografin und Dokumentarfilmerin allerhand Schnurriges, aber auch Grundsätzliches aus der Nase ziehen läßt. Nicht zuletzt die profunde Erkenntnis: »Humor ist immer dann, wenn er stattfindet.«

Wer dennoch mehr über Wirken und Werden des ganz sicher genialsten Bühnenkomödianten deutscher Sprache erfahren will, ist mit Gerd Holzheimers biographistischer Annäherung »Polt« (Langen Müller) ganz gut beraten. Auch wenn Holzheimer im Tonfall streckenweise allzu schwelgerisch, verliebt, ja blumig daherkommen mag, er hat sich brav mit vielen Weggefährten des großen Grantlers vom Schliersee unterhalten und, letztlich mit dessen freundlicher Duldung, wo nicht Assistenz, ein gutes, reich bebildertes Ergänzungswerk zu Koelbls Gesprächsbuch vorgelegt.

Dennoch: Wer viel hat, will noch viel mehr. Wer in Polts Lebenswerk eintaucht, stolpert immer wieder über dessen geheimnisvolle erste Produktion, mit der seine Karriere recht eigentlich begann: »Als wenn man ein Dachs wär’ in seinem Bau«, ein Hörspiel, 1976 unter der Regie von Jürgen Geers vom Hessischen Rundfunk produziert (und im Kein&Aber-Materialienbändchen unter dem falschen Titel »Als wenn ich ein Dachs wär« aufs noch falschere Jahr 1971 datiert); darin entwirft, wie ich bei Holzheimer las, der frühvollendete Polt bereits sein ganzes Bestiarium von Spekulanten, Hausmeistern, Politikern und Kriegerwitwen bis hin zum »Herrn Tschabobo aus Tschurangrati«. Ein klangfarbensattes Hörbild aus über fünfzig Stimmen, die Polt sämtlich selbst spricht und intoniert, das vom Niedergang der Schwabinger Amalienstraße erzählt, in deren Hinterhöfen er aufwuchs, und die sich in den siebziger Jahren durch Investorenspekulation, Entmietung und Gentrifizierung zu jenem Schickimicki-München wandelte, dem Berlin, Hamburg und werweiß bald auch Bad Hausen heute so atemlos nacheifern.

Vor zehn Jahren erschien dieses Hörspiel zusammen mit einem Polt-Portrait auf einer Doppel-CD der Reihe »Kabarettgeschichte(n)« und ist inzwischen längst vergriffen. Nun möchte ich aber weder die 99,99 Euro für ein Sammlerexemplar bei Amazon bezahlen, noch weitere zehn Jahre warten, bis sich, zu Polts 80., der bräsige Hessische Rundfunk womöglich bequemt, diese frühe Polt-Preziose wieder auf den Markt zu bringen. HR – bitte handeln Sie! Schnell! Sonst kemman mir mit’m Dillinger und mit’m Rechtsanwalt!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg