Humorkritik | Februar 2012

Februar 2012

Schulz, irre

Daß Wünsche wahr werden, ist ja eher Ausnahme denn Regel. Um so erfreulicher, daß mein Wunsch, der großartige Schriftsteller Frank Schulz möge sich auf den Blick in die Heimat konzentrieren (TITANIC 3/2010), in Erfüllung gegangen ist und Schulz mit »Onno Viets und der Irre vom Kiez« (Galiani Berlin) einen Hamburger Heimatkriminalroman vorlegt, der, versteht sich, mit der Fließband- und Stapelware aus den bundesdeutschen Provinzen rein gar nichts zu tun hat. Und, den freundschaftlichen Vorschußhymnen auf dem Schutzumschlag zum Trotz, auch gar kein Krimi (oder gar »Thriller«) im engeren Sinne ist.

Denn daß der Mittfünfziger, Hartz-IV-Bonvivant und neuerdings Privatdetektiv Onno Viets, noch etwas souveräner gescheitert und dadurch entschlossener ins Komische ragend als Bodo Morten aus Schulzens »Hagener Trilogie«, aus den täppischen Investigationen rund um einen Hamburger Trash-Prominenten, dessen dumme, untreue Gespielin und ihren psychisch devianten, gewalttätigen Kiezfreund (in den Hauptnebenrollen unüberlesbar D. Bohlen und V. Feldbusch) heil wieder herauskommt, unterliegt nie einem Zweifel, wie Onno zwischen Eppendorf, Reeperbahn und Mallorca auch nur sehr unfreiwillig für Klimax, Auflösung und Happy Ending sorgt. Um den »Fall« als solchen geht es also gar nicht. Worum dann?

Vielleicht darum, was Literatur kann, wenn sie sich nicht in Beweisnot wähnt: keine beflissene Themenerledigung, keine Meta-Spielchen, architektonisch gerade so wenig linear, daß es naiv wirken muß. Statt dessen: Milljöh- und Menschenkenntnis, ein sicheres Ohr für Dia- und Soziolekte, eine Dosis Unverfrorenheit (Bohlen! Feldbusch!) und eine Sprache, die vor Kraft kaum laufen kann und trotzdem so präzis wie hochartistisch ist – wann immer ich Schulz lese, sehe ich einen Elefanten, der auf einem Einrad über ein hochgespanntes Drahtseil steuert und auf dem Rüssel ein Porzellanservice balanciert. Das kann nicht gutgehen; und tut es aber.

»So hätte Arno Schmidt geschrieben, wenn er nicht bescheuert gewesen wäre« – das frühe Urteil des Kollegen Henschel gewinnt mit »Onno Viets« neue Evidenz. Was für Schmidt, den kenntlich wahlverwandten, noch der »Fluch, ›gegenständlich‹ zu sein«, war und als strenge und angestrengte (und für den Leser auch anstrengende) Immanenz seine eigene Hermetik feierte, bleibt bei Schulz, der längst in einer eigenen Liga schreibt, stets ingeniös, unverklemmt, humorvoll und licht. Ad multa opera!

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg