Humorkritik | Dezember 2012

Dezember 2012

Kayankayas Turban

Witz und Krimi vertragen sich nur in Grenzen, weil der Krimi, will er ernstgenommen werden, mit Ironie haushalten muß; es gibt da einen tipping point, jenseits dessen der eigentliche Krimi unter der Uneigentlichkeit der komischen Absicht verschüttgeht. (Wer sich noch an Kottan erinnert, weiß, was ich meine.) Ideal ist es, wenn die Komik sich nicht irgendwelchen Ermittlermarotten oder lustig gemeinten Arrangements verdankt (Ermittlerin aus der Großstadt gerät aufs tumbe Land etc.), sondern derselben groben Wirklichkeit, aus der die Kriminalhandlung entsteht.

Der Witz an Jakob Arjounis Frankfurter Privatdetektiv Kayankaya (neuester Fall: »Bruder Kemal«, Diogenes) verdankt sich erstens Kayankayas notorisch großer Klappe und dem Umstand, daß er zwar türkisch heißt und aussieht, aber als Adoptivkind nicht türkischer ist als der Rassist von nebenan; zweitens den Fällen, die den kleinen Ermittler zuverlässig zwischen Politmafia, Korruption und Menschenhandel aussetzen; und drittens dem sicheren Blick fürs Situative, der Arjouni seinen Wahlverwandten Chandler und Hammett bereits im Debüt (»Happy birthday, Türke!«) in komischer Hinsicht enteilen ließ: »Madame Obelix schaute mich verschlafen aus aufgequollenen Augen über die Theke hin an. ›Isch habb kei Kaffe, des tut mer leid. Die Leut wolle ja aach nie Kaffe, die wolle immer nur Bier, aach so frie morjens, egelhaft.‹«

Das ist jetzt allerdings ein Vierteljahrhundert her, und so weise es ist, Kayankaya altern und zivil werden zu lassen – das Rauchen hat er sich abgewöhnt, die Sauferei fast, und Vater wird er auch, und sogar freiwillig –, so wehmütig mag man doch werden, wenn kein junges Rauhbein mehr am Wasserhäuschen oder im Bahnhofsviertel ermittelt, sondern ein Radfahrer in den besten Jahren auf der Frankfurter Buchmesse als Bodyguard für einen Wiedergänger, jawohl, Salman Rushdies tätig ist, was in der akkuraten Beschreibung der einschlägigen Selbstdarsteller und ihrer Bühne zur zwar treffenden, aber doch bloß gepflegten Messesatire wird.

Der zweite Handlungsstrang aus Prügel und Halbwelt wirkt da fast ein bißchen auftragsgemäß; aber solange Kayankaya seinen Sarkasmus nicht verlernt, verzahnen sich Krimi und Komik so, daß man größten Spaß an der Sache hat. Denn Sarkasmus ist Bosheit, die für sich nichts kann, und also die genuine Ausdrucksform eines Kriminalromans, dessen Witz der schlechte Witz der Wirklichkeit ist. Auftritt der Verlagsagentin, die Kayankaya auf eine Lesung seines arabischen Schützlings vorbereiten zu müssen meint:

»Die Bürgermeisterin will kommen, vielleicht sogar der hessische Innenminister… Na ja, jedenfalls in dem Zusammenhang wollte ich Sie um… ähm… angemessene Kleidung bitten.«
»Wie meinen Sie das? Turban?«

Wo ich’s hinschreibe, muß ich schon wieder lachen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg