Humorkritik | März 2011

März 2011

Hochkomik ganz unten

Die Hobbydichter sind die Heimwerker der Literatur. Doch während die einen hübsch zu Hause hämmern und bohren, können die anderen mittlerweile den Kreis der Familie verlassen und ihre Reime drucken lassen, statt sie nur auf Geburtstagen und anderen Jubiläen zu Gehör zu bringen; der Selbstverlag bzw. »Book on Demand« machen’s möglich. Immerhin knütteln sie nicht mehr nur möchtegernkomische Gedichte im Stil von Wilhelm Busch, Eugen Roth oder Hans »Schuhmacher und Poet dazu« Sachs: Wie im hochgerüsteten Hobbykeller sind am Schreibtisch Anspruch und Niveau gestiegen. Nur daß das Niveau, auf dem sich einst die Elite befand, heute von gestern ist.

 

Einst gab es die »Fliegenden Blätter«, den Höheren Blödsinn, endlich den Nonsens eines Christian Morgenstern. Heute gibt es Erich Dix aus Wien. Der Wirtschaftsjurist lebt seit 2005 im Ruhestand und kann seither endlich dichten, mehr noch: einen Gedichtband mit dem gruseligen Titel »Irr-Wische. Geleitfaden in die Absurdität« drucken lassen. Immerhin: Was die humoristische Lyrik zwischen 1850 und 1950 an Formen und Techniken hervorgebracht hat, meistert er, den Limerick ebenso wie den Schüttelreim, eine Ballade mit im Einreim endenden Versen kriegt er ebenso hin wie ein Tautogramm aus lauter e-Wörtern, und mit besonderer Hingabe spielt er das im 19. Jahrhundert populäre Spiel »Reim dich, oder ich freß dich«, weshalb er ein Mädel zum »Mödel« macht, damit es sich auf »Knödel« reimt. Sogar an der beliebten Virtuosenübung »Finden Sie einen Reim auf Mensch« vermag er teilzunehmen: »Der Affe unterscheidet sich vom Mensch / in keiner Weise, schuldigen Sie entsch.«

 

Das alles ist nicht neu, aber alt, und das auch insofern, als schon immer die Hightech-produkte der Hochkomik irgendwann bei der breiten Masse ankamen und von ihr kopiert wurden. Bemerkenswert ist, daß inzwischen auch der Nonsensklassiker Christian Morgenstern unten angekommen ist. Der hatte es zwar schon bald nach seinem Tod erleben müssen, daß Epigonen in seinem Stil weiterdichteten, man denke an Namen wie Fred Endrikat, Peter Paul Althaus, Otto Heinrich Kühner; aber das waren noch Profidichter. Jetzt kann auch ein Sonntagslyriker den Morgenstern machen: ein zweites Figurengedicht in Trichterform schreiben, das Mondkalb erneut auftreten lassen und anstelle eines Knies die Pumpe auf Wanderschaft schicken: »Ein Herz geht einsam durch die Welt«, heißt es bei Dix. Natürlich findet bei ihm »ein Schorn« seinen »Stein«, selbstredend bevölkern wortspielgeborene Lebewesen wie die »Plapperschlange« seine Verse, und selbstverständlich hat’s der morgensternsche gebrochene Reim dem Hobbydichter angetan: »Mich reißt es richtig her und hin, / hör ich die Klänge von Strawin- / ski, doch reißt’s mich auch hin und her, / ist’s ein Konzert von Alban Ber / g.«

 

Das ist nicht durch die Bank mißraten, doch bleibt schlicht der historische Kontext außen vor: Morgenstern parodierte die beflissene Professoren- und die doofromantische Butzenscheibenlyrik seiner Zeit. Wäre Erich Dix nicht 2005, sondern 1905 pensioniert worden, käme er gerade noch zur rechten Zeit.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg