Humorkritik | August 2011

August 2011

In Echtzeit

Bei aller Existenzangst der Fernsehmacher verblüfft es mich immer wieder, daß den Managern des Bezahlsenders Sky, ehedem Premiere, immer wieder nur Fußball, Fußball, Fußball einfällt, wenn sie versuchen, die Zahl der Abonnenten zu steigern. Hat doch der amerikanische Bezahlsender HBO längst bewiesen, daß es auch anders geht: Mutige Experimente und souveräner Kunstsinn haben ein exklusives Publikum gebunden, das jeder neuen Produktion entgegenfiebert. Realisten mögen einwenden, daß es in Deutschland weder Knowhow noch Kapital genug gibt, um derart gute Fernsehserien zu produzieren, für die Zuschauer auch noch bezahlen würden. Auf Talkshows trifft dies noch mehr zu.

Als mögliches Vorbild nenne ich hier gerne »Real Time with Bill Maher«, denn auch hier zeigt HBO, daß und wie es geht (vgl. auch TITANIC 8/2009). Die Sendung läuft seit 2003 jeden Freitag, eine Stunde lang, ohne Werbung. In seinen Monologen geißelt Maher mit Vorliebe Republikaner und Repräsentanten der Tea-Party, welche er regelmäßig als »Tea-Bagger« tituliert. Maher macht gar nicht erst den Versuch, fair und ausgewogen zu wirken. Seine Feindbilder heißen Sarah Palin, Newt Gingrich oder Donald Trump; Leute, die für die Krise Krankenschwestern und Lehrer verantwortlich machen, weil die eine vernünftige Bezahlung fordern, sind laut Maher schlicht »Arschlöcher«. Und einen »gemäßigten« Republikaner gibt es ebensowenig wie einen heterosexuellen Priester. Mahers Vater ist Katholik, Sohn Bill Atheist und Schöpfer des auch hier schon besprochenen religionskritischen Streifens »Religulous« (TITANIC 3/2009). Die Verwunderung über den Kindesmißbrauch in der katholischen Kirche kann er heute nicht mehr teilen: »Die Leute schicken ihr Kind in einen dunklen Raum zu einem alleinstehenden Mann, der mit Vorliebe Kostüme trägt. Und dann wundern sie sich, daß so etwas passiert?«

Bevor Bill Maher mit »Real Time« zu einer Institution wurde, versuchte er sich mit mäßigem Erfolg als Schauspieler, Buchautor und Komiker. Seine erste Fernsehshow bekam er 1993; »Politically Incorrect« lief erst auf Comedy Central, dann auf ABC. In einer Diskussion um den 11. September 2001 äußerte Maher dort die berühmt gewordene These, daß man den Attentätern vom World Trade Center vieles, aber keine Feigheit vorwerfen könne: »Aus tausenden Kilometern Cruise Missiles abzufeuern, das ist feige. Ein Flugzeug in einen Wolkenkratzer zu steuern hingegen nicht.« Daraufhin weigerten sich diverse Firmen, Werbespots zu buchen. Im Juni 2002 wurde die Sendung eingestellt. Für einen Moment sah es so aus, als wäre Mahers Fernsehkarriere beendet – bis ihm 2003 das Comeback gelang.

Im Showbiz ist der Provokateur Maher alles andere als ein Außenseiter. Er ist gut vernetzt, hat einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame und schreibt für die »Huffington Post«. Maher sieht sich als Stimme einer vernünftigen Minderheit, die viel größer ist, als man gemeinhin denkt. Und außerdem hat er die Erfahrung gemacht: »Den Leuten ist es egal, auf welcher Seite du stehst – solange du kein Feigling bist.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt