Humorkritik | November 2010
November 2010
Marx’ komisches Kapital
Unlängst äußerte sich in einem Taz-Interview der Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Žižek über Silvio Berlusconi: »Er ist eine Art Groucho Marx an der Macht.« Das beweist zum einen, daß der Name Groucho Marx noch präsent ist, zum anderen jedoch, daß nicht mehr recht klar zu sein scheint, was das denn genau für einer war (eine Art Berlusconi jedenfalls nicht).
Da fügt es sich, daß Groucho Marxens immer mal wieder auf deutsch aufgelegte Memoiren »Groucho and Me« und »Memoirs of a Mangy Lover« erneut auf den Markt gelangt sind, als einbändige Ausgabe unter dem etwas uninspirierten Titel »Groucho & Marx« (Atrium), in einer, soweit ich’s beurteilen kann, guten Übersetzung von Sven Böttcher, die dieser jedoch mit etwas übertrieben launigen Anmerkungen versehen hat. Zwar nicht so kraß wie in den Filmklassikern der Marx Brothers, aber immer noch hinreichend wird darin deutlich, was Žižek vermutlich mit Marx assoziiert: das Anarchische, das sich in dessen rücksichtslosem Humor offenbart.
Getreu dem kleinen Einmaleins komischen Schreibens wird da Unvereinbares zusammengezwungen, Sprache beim Wort genommen und der Leser in die Irre gelockt: »Wären wir nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten konstruiert, hätten wir überhaupt keinen Mund. Jetzt fragen Sie natürlich: ›Und wie würden wir dann essen?‹ Ehrlich gesagt, weiß ich das auch nicht, aber ich werde am Wochenende mal drüber nachdenken.« Was schwer vorstellbar ist, denn die meiste Zeit verbringt Marx nicht mit tiefen Reflexionen, sondern mit der Produktion heftigen Geblödels: »Die Leute luden mich nicht mehr zu sich nach Hause ein – sogar Leute, die mich ohnehin nie eingeladen hatten. Frauen gingen ohne Knicks an mir vorbei, und sogar mein Barbier schnitt mich. Das schmerzte am meisten.«
Auch diese Kalauerflut schmerzt irgendwann und wirkt auf die lange Strecke etwas öde und auch altbacken, vermag aber doch mitunter durch originelle Spitzen zu erfreuen. Der Rest ist wie beiläufig erplauderte anekdotische Lebensgeschichte, von der wir freilich nicht wissen, wie »authentisch« sie ist – unterhaltsam ist sie allemal, und gelegentlich bietet sie auch hübsche Ein- und Rückblicke. Etwa das Handwerkszeug des Komikers betreffend: »Meiner Überzeugung nach geht auf dem Weg zur komischen Wirkung Probieren über Studieren.« Und das Probieren scheint ganz einfach zu laufen: »Handelte es sich um einen originellen Komiker, entledigte er sich allmählich sowohl der geklauten Witze als auch derer, die beim Publikum nicht ankamen, und ersetzte sie durch eigene.« Oder wenn Marx seine harten Lehrjahre in den amerikanischen »Schmalspur-Vaudeville-Theatern« des frühen 20. Jahrhunderts schildert – eine versunkene Welt mit archaischem Charme.
Durchaus aktuell sind hingegen die Passagen über die Weltwirtschaftskrise, »die Wirren von 1929 und meine Paraderolle darin«, in welcher der schon zu Ruhm und Reichtum gelangte Komiker erhebliche Summen verlor – war er doch »genauso gierig wie all die anderen Trottel um mich herum«. Das ist dann nicht mehr lustig und fällt folglich auch nicht in mein Ressort. Sondern in das Slavoj Žižek.