Humorkritik | März 2010

März 2010

Wachtel Witzmacht?

Es mag vielleicht einen gewissen Reiz haben, sich vorzustellen, Kurt Tucholsky hätte nicht nur den Text »Ein Ehepaar erzählt einen Witz« geschrieben, sondern zudem als Variante »Ein Ehepaar erzählt keinen Witz«. Denn nicht minder anspruchsvoll als das gelungene Erzählen von Witzen dürfte das ebenso gelungene Nicht-Erzählen derselben sein.

 

So könnte derlei funktionieren: »Ich möchte dir einen Witz erzählen, sagte Brockes, ein Freund. Der Einfachheit halber werde ich ihn ›Die Wachtelwurst‹ nennen. Ich habe ihn von einem alten Ziegenhirten gehört, 1953 in den Abruzzen«, beginnt Hermann Peter Piwitt seine kurze Geschichte »Die Wachtelwurst«, die in dem Sammelband »Heimat, schöne Fremde« (Wallstein) nachzulesen ist und nach einem epischen Weilchen folgendermaßen fortfährt: »Endlich sagte der Hirt: ›Kennen Sie den Witz von der Wachtelwurst?‹ ›Nein‹, sagte ich. ›Ich auch nicht‹, sagte er. – Jahre später, wieder in den Abruzzen, habe ich ihn dann doch noch erzählt bekommen. Und danach noch viele Male. Ich habe ihn vergessen. Aber nie werde ich vergessen, wie ich über ihn gelacht habe.«

 

Und ich werde nicht vergessen, warum ich diese rätselhafte Pointenverpuffung und Witzverweigerung hier kolportiere: zum einen, um die Lektüre des zitierten Buches zu empfehlen, sind in ihm doch noch allerlei weitere anmutige Trouvaillen anzutreffen. Etwa folgendes Exempel einer mustergültigen Anekdote: »Von dem einzigen Gespräch, das er mit Thomas Bernhard geführt habe, berichtete der Wiener Germanist Wendelin Schmidt-Dengler bei Gelegenheit. Ob die Zeitung frei sei, habe ihn B. eines Tages im ›Bräunerhof‹ gefragt. Und er habe geantwortet: ja.«

 

Zum zweiten, weil ich mich freue, daß der Wachtel als solcher bei Piwitt eine subtile literarische Würdigung zukommt, die des reifen F.W. Bernsteins Gedicht »Großmacht Wachtel?« ergänzt, dessen erste Strophe bekanntlich lautet: »Schaut euch nur die Wachtel an! / Trippelt aus dem dunklen Tann; / tut grad so, als sei sie wer. / Wachtel Wachtel täuscht sich sehr.«

 

Täusche ich mich, oder wird es der Wachtel Wurst sein, zu was die Dichter sie verbraten, ob FWB oder Piwitt, ob zu fragwürdigen Großmacht-Gedichten oder witzloser Wurst? Meine Sympathie gehört ihr allemal. Ebenso wie dem famosen Erzähler und aufrechten Aufklärer Hermann Peter Piwitt, dem ich – um zum dritten und eigentlichen zu kommen – auf diesem Wege verspätet zu seinem am 28. Januar begangenen 75. Geburtstag gratuliere. Ich habe ihn nicht vergessen.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt