Humorkritik | Juli 2010

Juli 2010

Ein Witz von Manifest

Eine (kleine) Geschichte des kommunistischen Witzes erzählen, seine unterschiedlichen Ausprägungen in den regionalen Milieus nachweisen und Traditionslinien zeichnen, natürlich unter Verwendung so vieler Beispiele wie möglich, um vielleicht noch rasch die Frage zu beantworten, warum er solche Klassikerqualitäten hat (was sicher daran liegt, daß die Differenz von politischem Anspruch und gesellschaftlicher Wirklichkeit mit dem Kommunismus ja nicht verschwunden ist) – das wäre ein schönes Buch geworden. Der Brite Ben Lewis kommt nun aber vom Fernsehen und weiß, daß allzugroße gedankliche Stringenz nur stört: Seine »profunde Reportage« (Werbetext) über »den Geist des Aufbegehrens unter kommunistischen Regierungen« (ebd.) mit dem Titel »Das komische Manifest. Kommunismus und Satire zwischen 1917 und 1989« (Blessing) ist 450 Seiten schwer, weil der studierte Kunsthistoriker, Grimme-Preisträger und scheint’s praktizierende Infotainment-Wurstel (»Ceausescu: Prunksucht eines roten Diktators«) lange durch Osteuropa gereist ist, um lokale Zeitzeugen bzw. sogar »Humorologen« zu Ostblockwitzen und komplementärer Staatssatire zu interviewen und zu klären, ob der kommunistische Witz am Ende sogar zum Fall des Kommunismus beigetragen hat oder, im Gegenteil, per Ventilfunktion dessen Siechtum verlängerte.

 

Und hier liegt der Hase im Pfeffer, denn viel mehr als volkskundliche, kompara-tistische, psychologische oder sonstwie humortheoretische Fragen interessiert Lewis diese eine, läppische, knopphaft politische; und daß er am Schluß, nach langem Wägen und einer durch Witze illustrierten Alltags- bzw. Gruselgeschichte des »kommunistischen Märchens« und seiner ständigen »Absurditäten«, auf ein Sowohl-als-auch kommt, ist fast keine Überraschung. »Die Witze brachten den Kommunismus ›zu Fall‹, in dem Sinne, daß sie einen wesentlichen Bestandteil der Kritik am Kommunismus bildeten, in der sich Staatsführung und Bürger am Ende einig waren und die seinen Sturz herbeiführte.« Aha. Dafür hätte auch ich 450 Seiten gebraucht; wenn mich denn derlei Kausalitäten je interessiert hätten.

 

»Anders als andere allgemein anerkannte Ideologien, etwa der Imperialismus, der Kapitalismus, der Faschismus und der Fundamentalismus« – man sieht, da geht schon einiges durcheinander – »war der Kommunismus aufgrund einer einzigartigen Kombination von Faktoren von Natur aus ›komisch‹; dies waren etwa die Untauglichkeit der Theorien, die Verlogenheit der Propaganda und die Macht der Zensur.« Was immer die Übersetzung da noch an Geholper beigesteuert hat: So bravourös banal diese Fernsehsätze sind, so untauglich ist Lewis als Theoretiker; warum er z.B. die Witze beharrlich als »Kalauer« fehletikettiert, bleibt sein Geheimnis (oder das seiner Übersetzerin).

 

Da kann die Rezensionsnotiz ruhig den »resolut nicht-akademischem Stil« (The Telegraph) loben und der Verfasser noch so heftig mit seiner Mittelschichtsherkunft (inkl. Studium in Cambridge) kokettieren, die so dekorativ von der seiner ostdeutschen, unverbesserlich antikapitalistischen Freundin absticht – trotz einiger interessanter Nachweise (so läßt sich ein klassischer Witz über die sowjetische Geheimpolizei bis ins alte Persien zurückverfolgen), der Relativierung der Gleichung Witz = Knast (in der UdSSR soll es eine Zeitlang gereicht haben, sich zu entschuldigen) und der vielen schönen Witze, die Lewis dokumentiert (»Was ist in Rumänien noch kälter als das kalte Wasser? – Das warme Wasser«) ist »Das komische Manifest« bloß ein geschwätziges, in seinem altklug-groschenironischen Sieger-der-Geschichte-Gestus (»Was im Ostblock produziert wurde, war unzuverlässig, minderwertig und häßlich, und in einem Ostblockcafé bekam man keinen anständigen Espresso«) unschön zeitgenössisches Manifest schlechter (und reaktionärer) Pop-Wissenschaft; auch wenn man ihm dankbar dafür sein kann, den frühen Ivan Steiger ausgebuddelt zu haben, der, auch wenn’s dem Lewis natürlich nicht auffällt, zu Zeiten des Prager Frühlings schon genauso minderwertig war, wie er es bis heute geblieben ist.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg