Humorkritik | September 2009

September 2009

Grobschlächtiger Fleischhauer

Der Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer hat dreihundertfünfzig Seiten vollgeschrieben, in denen nicht viel mehr steht, als daß Linke doof sind (»Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde«, Rowohlt). Die Beweisführung gelingt ihm durch den verblüffend einfachen Trick, einfach alles vermeintlich Linke als doof einzuordnen. Sogar die Wiedertäufer, die 1534 in Münster kurzzeitig eine Art christliche Taliban-Herrschaft errichteten, waren nach Fleischhauers Lesart linke Utopisten, die »für ein Jahr den Kommunismus in Münster eingeführt« haben.

Fleischhauer, 1962 in Hamburg geboren, ist vom Wahn beseelt, er gehöre »zu einer Generation, die gar nichts anderes kennt als die Dominanz der Linken«. Auch das kann er belegen: »Gehen Sie in irgendein Schauspielhaus, in ein Museum oder ein Freiluftkonzert: Sie werden schnell feststellen, daß Ideen, die außerhalb der linken Vorstellungswelt siedeln, dort nichts verloren haben.« Daß in den Chefetagen des Landes durchaus auch Ideen aus anderen Vorstellungswelten siedeln, ficht ihn nicht an, denn die Fäden der Macht werden ja bekanntlich bei Freiluftkonzerten gezogen.

Nun wurde Fleischhauers Philippika in den hiesigen Feuilletons zwar schon überraschend einhellig abgewatscht, und ich könnte die Sache auf sich beruhen lassen, gäbe es da nicht ein Kapitel, das ganz augenscheinlich in mein Ressort fällt. Es trägt die Überschrift »Die Linke und der Humor« und führt, wenig überraschend, aus, daß Linke keinen Humor haben. Es sei »wahnsinnig schwer, jemand Linksstehenden zu treffen, der nicht nur politisch überzeugt, sondern auch genuin witzig ist. (...) Die Linke nimmt sich selber zu ernst, um wahrhaft komisch zu sein.« Der Konservative sei da anders, denn er »steht staunend vor der Unvernunft der Welt, aber er akzeptiert sie kopfschüttelnd als Tatsache des Lebens. Der Linke nimmt sie als Beleidigung.« Und das sei schlecht »für den heiteren Pessimismus und die Selbstironie, ohne die es keinen wahren Humor geben kann.«

Fleischhauer hat sich zum Thema mit dem Schriftsteller Martin Mosebach unterhalten, der diesbezüglich »ein bestens geeigneter Gesprächspartner« sei, schließlich »ist er mehr oder weniger gut mit den meisten Vertretern der sogenannten Neuen Frankfurter Schule bekannt (...). Mit Gernhardt verband Mosebach sogar so etwas wie Freundschaft, wenn man bei Gernhardt überhaupt von Freundschaft reden kann«, erläutert Fleischhauer, und allein für den letzten Halbsatz hätte er es verdient, von all denen, die die Herzlichkeit und Zuverlässigkeit bezeugen können, mit der mein Freund und Kollege Gernhardt seine vielfältigen Beziehungen pflegte, ganz humorlos vertrimmt zu werden.

Wie auch immer: Mosebach und Fleischhauer sind sich einig, daß Gernhardt, Neue Frankfurter Schule und diese Zeitschrift komisch sind, ergo nicht links sein können, denn: »Die Linke schreckt zurück vor dem Abgrund der Absurdität«. Vielmehr sei »im Fall von Gernhardt eine auffällige Politabstinenz evident, die in deutlichem Kontrast zu den Vereinnahmungsversuchen von links« stehe, während sich die Qualität von TITANIC »mit der ideologischen Desinteressiertheit der Redaktion« erklären lasse und »das Humortalent also gerade auf die Abstinenz von einer politisch eindeutigen Haltung« zurückzuführen sei.

Ich habe mich in den nun bald dreißig Jahren, in denen ich diese Kolumne schreibe, nur selten geäußert zu dieser Zeitschrift, in der sie erscheint und zu der Autorengruppe, die sie gegründet hat. Das habe ich anderen überlassen. Aber wenn dann so etwas Geschichtsvergessenes dabei herauskommt, sind doch mal ein paar klärende Worte angebracht. Was die TITANIC anbelangt, so ist ihre ideologische Interessiertheit und politisch eindeutige Haltung mit Händen zu greifen. Es geht ihr allemal darum, der zutiefst beleidigenden Unvernunft der Welt das einzige entgegenzusetzen, was diese überhaupt erträglich macht: Komik.

Alle Mitglieder der Neuen Frankfurter Schule haben für Pardon gearbeitet, eine 1962 gegründete, linke Polit- und Satirezeitschrift, die den Protest der Studentenbewegung zunächst antizipierte, später sympathisierend begleitete. Wer in Pardon ein Beispiel für pessimistische Selbstironie sucht, findet sie in der von Chlodwig Poth gezeichneten, seinerzeit höchst erfolgreichen Serie »Mein progressiver Alltag«, in der die hehren linken Ideale und die schnöde Wirklichkeit aufs komischste kollidieren. Wer einen Humor bevorzugt, der vor einem Abgrund der Absurdität nicht zurückschreckt, ist mit der längst klassisch gewordenen Pardon-Nonsensbeilage »Welt im Spiegel« von Gernhardt, Waechter und Bernstein bestens bedient.

Wer Gernhardts Gesamtwerk durchsieht, dem wird keine Politabstinenz auffallen, hingegen eine lebenslange Nähe zu praktisch allen typisch linken Satirethemen seiner Zeit, von frühen Pardon-Texten über Lübke, Barzel und die Hallstein-Doktrin über einschlägige TITANIC-Beiträge zu Ökologie, Atomrüstung und Rassismus aus den achtziger Jahren bis hin zu den späten Sonetten gegen den Irak-Krieg. Daß er dabei in der Regel weniger hölzern und berechenbar zu Werke ging als viele seine Satirikerkollegen etwa im politischen Kabarett, ist keine Frage von links oder rechts, sondern einzig der Begabung. Nicht zuletzt der, sich Vereinnahmungsversuchen von links oder rechts zu erwehren – plump und grobschlächtig vorgetragenen Fleischhauereien zumal.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
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