Humorkritik | Oktober 2009

Oktober 2009

Das Vieh ist der beste Freund des Landmannes

Ernst und sachkundig betriebenes Ratgeben kann zuweilen komische Blasen treiben. »Noth- und Hülfsbüchlein für Bauersleute oder lehrreiche Freuden- und Trauergeschichte des Dorfs Mildheim. Für Junge und Alte beschrieben« heißt ein 1788 in Gotha erschienenes Büchlein, mit dessen Hülfe der wackere Pädagoge und Schriftsteller Rudolf Zacharias Becker die Landbevölkerung in anschaulichen Geschichten lehren wollte, wie sie die Gesundheit pflegen, die Ehe richtig führen, »Ehre und Liebe bei den Miteinwohnern« erringen und »ein gut Gewissen vor Gott und Menschen« erzielen können; in nuce aber auch, wie man Brot bäckt und Bier braut, warum man schimmliges Fleisch nicht essen sollte und zu welchem Behuf ein Dorf zwei Badehäuser für Männlein und Weiblein braucht.

 

Das ist hilfreich und gut. Lustig wirkt nichtsdestoweniger schon die so nüchterne wie altkomische Sprache, die dem Ganzen einen heiteren Grundton unterlegt, sodann die krasse Schilderung der zu vermeidenden Mißstände, etwa wenn Becker vorführt, »wie bey einer ungeschickten, säuischen und unordentlichen Hausfrau immer alles kränkelt und elend ist«, so daß mit naturgesetzlicher Folgerichtigkeit ein Kind nach dem anderen hopsgeht; oder wenn er grell die Folgen der Trunksucht ausmalt: »Man hat sogar Exempel, daß der Brandtwein sich bey einem so unmäßigen Säufer im Leibe entzündet und die blaue Flamme zum Halse heraus fährt, daß es zum Entsetzen ist.«

 

Den Lesern fährt eher ein Lachen aus dem Halse heraus. So auch bei seinen schlichten Merksätzen, die Becker für die einfach gestrickten Landleute zum Zwecke ihrer Bildung formuliert. Über den Harz zum Beispiel: »Der Brocken ist sehr hoch.« Oder über die Nutztiere: »Das Vieh ist der beste Freund des Landmannes.« Da weiß der Bauer doch gleich Bescheid.

 

Aber Becker schreibt nicht nur unbeabsichtigt komische Sachen, er hat auch Sinn für Satire, so sie nützlich ist. In Kapitel 34 mit dem schönen Titel »Ein Griff aus Wilhelm Denkers Windbeutel« macht er sich über den Aberglauben lustig. Der Mustermann Denker mit dem sprechenden Namen sammelt »Meinungen, Urtheile, Sprüche und Gewohnheiten, von welchen er keinen vernünftigen Grund finden konnte, und die ihm albern oder närrisch vorkamen«, in seinen »Windbeutel«. Da finden sich nun Proben wie: »Hast du einen Leibesschaden, so gehe nicht zum Doctor oder Feldscherer, sondern nimm ein Ey, trink es aus, laß deinen Urin in die Schale, verwahre es in einem Säcklein und hänge es in den Rauch – so wird es geräuchert.« Oder: »Wenn deine Kuh gekalbt hat: so gehe rücklings in den Stall und sprich: Rücken rein, Unglück naus! – So bist du drinne.« Und: »Auf Fastnacht spinne nicht, es giebt sonst lauter Bratwürste: flicke nicht, sonst werden den Hühnern die Löcher zugeflicket.«

 

Als aufrechter Aufklärer beließ es Becker nicht bei der Parodie des Aberglaubens, wie man damals die Esoterik nannte, sondern stichelte auch gegen den ähnlich gestrickten Glauben: »Mache bey allem und über alles drey Kreuze: so brauchst du nicht zu überlegen, wie es aufs beste zu machen sei. Wenns dann nicht geräth, so sind die Kreuze schuld daran.«

 

Erstaunlich genug, wurde das Buch zum Bestseller, das sich bis in die 1820er Jahre munter verkaufte; ähnlich lang dürfte kaum ein Werk der heutigen Ratgeberliteratur sich halten. Und sein Autor, wie lange hielt er sich? Im »Windbeutel« steht es: »Wenn das Gesicht eines verstorbenen Ehegatten oder Freundes im Tode weich bleibet: so holt er einen aus dem Hause nach – ehe 50 Jahr vergehen.« 34 Jahre nach diesem Buch traf es in der Tat Rudolf Zacharias Becker (1759–1822) selbst.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt