Humorkritik | März 2009

März 2009

Gegen den Osterhasen

Zunächst einmal: Mit Religiosität, wie man sie in weiten Teilen Westeuropas versteht, hat die spinnerte Eiferei der US-Amerikaner eher nichts zu tun. Deshalb ist Bill Mahers Dokumentation »Religulous« (seit 19.2. in ausgesuchten Kinos) für deutsche Zuschauer auch weniger als Kirchen- und Religionskritik interessant denn als Dokumentation der Diskrepanz, die sich in den USA zwischen weltweiter Spitzenwissenschaft und beinhartem Glauben an Kreationismus auftut. Die ist allerdings erschreckend.

Mahers Reise führt ihn zu korrupten Fernsehpredigern, die sich in feinste Anzüge werfen, Reptilienlederschuhe und schweren goldenen Schmuck tragen und im Brustton der Überzeugung erklären, Jesus sei selbst reich gewesen, zu einem römischen Priester, der ihm direkt vor dem Vatikan erklärt, ein Großteil dessen, was in der Bibel stehe, sei Unsinn, und in einen »Holy Land« genannten Freizeitpark in Florida, in dem sich der Jesusdarsteller erst von Maher in kompromittierende Gespräche verwickeln und anschließend vor den Augen etlicher adipöser Frührentner ans Kreuz schlagen läßt, woraufhin seinem überwiegend in Shorts und T-Shirt gekleideten Publikum das Pipi in die Augen schießt. Versetzt sind diese offen manipulativ geschnittenen Interviews mit Ausschnitten aus religiösen Spielfilmen, Zeichentrickszenen und allerhand anderen Schnipseln, die zusammen das Bild einer grenzdebilen Gläubigenschar von Christen, Juden und Moslems bis hin zu Mormonen ergeben, die an sprechende Schlangen glauben und daran, daß tatsächlich Menschen im Inneren eines großen Fischs mehrere Tage überleben können, um anschließend wieder an Land zu steigen. Das ist plakativ und kurzweilig; daß Regisseur Larry Charles (»Seinfeld«) sein satirisches Handwerk im Schlaf beherrscht, weiß man spätestens seit dem »Borat«-Film.

Problematisch wird »Religulous« (aus religious und ridiculous) nicht erst da, wo Maher etwas zu routiniert seine Gegenüber der Lächerlichkeit preisgibt, woraufhin diese häufig prompt das Interview abbrechen oder ihre aggressiven Impulse jedenfalls kaum verbergen können. Zumindest auf halbwegs aufgeklärte Zeitgenossen wirkt Mahers Mühen oft, als wolle er Kindern beweisen, daß es keinen Osterhasen gibt, während diese aber um jeden Preis weiterhin an den Osterhasen glauben wollen. Das mag in einer Nation, die die Existenz des Osterhasens zu ihrem gesellschaftlichen Fundament gemacht hat, durchaus ehrenhaft sein, wie ja auch Mahers politische Talkshow/Standup-Show »Real Time« zu loben ist. So brisant wie in seiner Heimat ist Mahers Dokumentation in hiesigen, weitgehend agnostischen Gefilden leider nicht.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt