Humorkritik | Juli 2009
Juli 2009
Possierliche Bettelbriefe
»Ich bin stellenlos, verdammt stellenlos. Ich muß wahrscheinlich wieder Diener werden, Teppiche klopfen und das Fressen darreichen«, schreibt der Dichter im Herbst 1902 seiner einen Schwester und fragt die andere: »Wollen wir uns beide zu einer Herrschaft begeben, für unser ganzes Leben, Du als Hausmädchen, ich als Hund? Ich wenigstens träume immer von so etwas.« Noch drei Jahre später – als Hund mußte sich Robert Walser nicht verdingen, sondern einen Roman und viele kleine Artikel schreiben – teilt ihm der Buchverlag auf seine Honorarforderung von hundert Mark mit: »Gestatten Sie uns, Ihnen ergebenst mitzuteilen, daß von 1300 Exemplaren bisher erst 47 Exemplare abgesetzt worden sind! Diese Zahlen bedürfen sicher keines weiteren Kommentars, so daß wir Sie leider bitten müssen, sich wegen des reklamierten Betrages noch zu gedulden.«
Nein, seine Bücher wachsen nicht in den Himmel, und auf Erden hat Robert Walser mit seinem umfänglichen »Prosastückligeschäft« bald genug zu tun – genug zu beißen und anzuziehen aber anscheinend nie, wenn man seinem Briefwechsel mit Frieda Mermet Glauben schenkt, einer Wäschebüglerin, die er über seine andere Schwester Lisa kennengelernt hat. Unglücklich verheiratet, hilft sie dem Dichter nur zu gern mit Käse, Wurst und Speck, mit Bonbons, Schnaps und Schuhcreme aus und erhält dafür ab und zu ein paar galante Streicheleinheiten – wenn auch nur auf dem Papier; genau genommen fallen die auch weniger galant als possierlich aus, wenn Walser sich beispielsweise um ihr »liebes, lustiges Näschen« sorgt und versichert: »Ich habe es sehr lieb, das liebe kleine Ding, und ich möchte mich in das Taschentuch verwandeln, womit Sie Ihr Näschen putzen.«
Von 1913 an, als es mit einem »Stück Käse, wozu Sie so freundlich gewesen sind mir das Papier zu geben«, beginnt, geht das Spiel über zwanzig Jahre. Die brave Frau Mermet, die ihm eine »gute Flasche Rotwein, Süßigkeiten und Taschentücher« spendiert, ihn mit »Leckerli« und kaltem Braten versorgt und ihm sogar einen Regenschirm schenkt, kann doch nie genug tun: »Wenn Sie ein wenig Thee hätten, so würde ich gelegentlich sehr gern Empfänger davon sein. Eine dünne oder dicke Käsescheibe verachtet der Schreiber dieser Zeilen niemals, was nicht heißen will, Sie hätten nun augenblicks nach Käse zu laufen. Um Gotteswillen, nicht. Ich meine nur, daß ich stets hungrig bin.« In dieser skurrilen Zweierkiste hat Walser die Hosen an, sie schickt ihm dazu die Socken und flickt sie ihm auch: »Hier, liebe Frau Mermet, wage ich Ihnen eine Portion zerrissene Strümpfe zu schicken, da Sie so lieb waren, mich dazu aufzufordern. Macht es nichts, daß sie ungewaschen sind?«
Was bei Walser hier Spaß ist, was Ernst, weiß keiner nicht. Zuverlässig erfüllt der arme Poet sein Klischee, die mütterliche Helferin und gute Fee desgleichen, die der Dichter schon mal seine »liebe Mama« nennt, dann aber auch als »gewaltige Frau« erhöht oder als »erhabene Beherrscherin« feiert, nur um schließlich doch als »Sie als Eigentum, als ausschließlich ›meine‹ betrachtender, Ihnen ergebener Robert Walser« zu grüßen. Die am Ende nichts davon hat als einen lustigen Platz in der Walserforschung und schön geschraubte Dankesschreiben: »Ihre so liebenswürdige Folgsamkeit im schleunigsten Erfüllen rührend vorgetragener Wünsche verdient höchliche Anerkennung, welche mir hiermit unter inniger Verdankung aus Mund sowohl wie Feder fließt, italienisch und feurig, ähnlich, wie gestern Ihre zwei Flaschen gespalten, d.h. entkorkt und ihres edlen Inhaltes entleert wurden.«
Womit ich schließe, um meinerseits zu danken und eine Flasche zu spalten.