Humorkritik | April 2009

April 2009

Tarvu der Große

Man munkelt, es werde gerade an einer neuen Serie für das US-Comedynetzwerk Adult Swim gearbeitet, die »Praise Tarvu!« heißen und einer fiktiven Religion namens Tarvuismus huldigen wird. Ohne auch nur eine Sekunde davon gesehen zu haben, vermute ich jetzt schon, daß etwas ziemlich Grandioses herauskommen wird.

Zu dieser Zuversicht berechtigt mich zweierlei. Zum einen wurde neulich als Vorhut der Serie die aufwendig gestaltete und sehr sehenswerte Website tarvu.com in die Welt gesetzt, die schon einmal einen umfassenden Einblick in diese neue Glaubensrichtung bietet. Offenbar ist sie irgendwo zwischen Scientology, den Zeugen Jehovas und einer asiatischen Wohlfühlsekte angesiedelt, jedenfalls sind auf den Werbevideos strahlende Religionsanhänger zu sehen, die erklären, wie glücklich sie der Tarvuismus gemacht habe und, vor allem, wie leicht man Mitglied werden könne: Einfach einmal Tarvus Gebet aufsagen – »and that’s it!«

Der Tarvuismus ist, so behauptet zumindest tarvu.com, die drittgrößte Glaubensgemeinschaft der Welt und über den gesamten Erdball verbreitet (mit Ausnahme des Tschad). Möglicherweise wird das sogar bald stimmen, denn er weist alle Elemente milden Irrsinns auf, die für jede erfolgreiche Weltreligion kennzeichnend sind. Da wäre zunächst einmal ein vorbildlich verschrobener Schöpfungsmythos: Wie dem angeschlossenen Lexikon »Tarvupedia« zu entnehmen ist, schuf Tarvu vor einigen Milliarden Jahren zwei Universen und kam dann als Baby in einem Ei auf die Erde (die übrigens in Universum B liegt), landete in einem Ozean und wurde von einem Tintenfisch namens Oobu gerettet und aufgezogen – weshalb gläubige Tarvuisten Tintenfische als heilige Tiere verehren und den Verzehr von Calamari ablehnen. Später verfaßte Tarvu die »Tarvunty«, das heilige Buch der Tarvuisten und, der Inhaltsübersicht nach zu urteilen, ein buntes Gemisch aus Moralvorschriften, Scherzgedichten, Kriegsschilderungen, Kochrezepten, Informationen zum Leben nach dem Tode und einem Kapitel über »Idioten, die Tarvu getroffen hat«.

Die Erfinder des Tarvuismus sind die britischen Autoren und Schauspieler Peter Serafinowicz und Robert Popper, und das ist der andere Grund, weshalb bei »Praise Tarvu!« nicht viel schiefgehen kann. Schließlich stand dieses Duo auch schon vor ein paar Jahren hinter »Look Around You«. Ausgangspunkt dieser außerordentlich erfreulichen BBC-Serie ist die drögste Vorlage, die sich denken läßt, nämlich Schulfilme der 1970er Jahre. Dementsprechend tragen die zehn- bis dreißigminütigen Kurzfilme Titel, die extrem langweiligen Lehrstoff erwarten lassen: Wasser, Mathematik, Schwefel, das Gehirn. Der Zuschauer wird ständig von einem sonoren Off-Sprecher aufgefordert, das Gelernte in sein Schulheft zu notieren – wobei ziemlich unzuverlässiges Faktenwissen vermittelt wird: »Das Gehirn ist im Prinzip ein faltiger Hautsack, der mit warmem Wasser, Blutgefäßen und Denkmuskeln gefüllt ist. Du kannst es dir wie eine Art Herz vorstellen, nur mit Geist, oder Gehirn.« Von ähnlicher Qualität sind die gezeigten Laborexperimente, durchgeführt von ziemlich verlotterten Wissenschaftlern, die mit Bleistiften haltlos in Reagenzgläsern herumrühren und dabei so erstaunliche Entdeckungen vorstellen wie das intelligente Kalzium.

Die meisten Folgen von »Look Around You« sind bei Youtube abgelegt, und so möge sich jeder selbst ein Bild davon machen, mit welcher herzwärmenden Liebe zum Detail die Siebziger-Jahre-Atmosphäre erzeugt wurde: Diese flotte und zugleich gurkige Begleitmusik, diese gammlig pastellfarbenen Studiohintergründe, dieses ehedem hochmoderne, inzwischen schön ramschig wirkende technische Equipment, diese quälend flauen Späßchen und aufdringlichen Ermunterungen zum Mitdenken, mit denen die Schulklasse wachgehalten werden soll, ach, es ist eine Pracht. Und doch kann ich mir das alles nicht ohne leise Wehmut anschauen, stellt es doch einmal mehr die drastische Unterlegenheit des deutschen Fernsehhumors unter Beweis. Eine, eine einzige Sendung aus heimischer Herstellung im hiesigen TV, die mit derselben Unbefangenheit auf Massenverständlichkeit pfeift – ich werde dahinscheiden und es nicht erlebt haben.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt