Humorkritik | Oktober 2008

Oktober 2008

Vom Affen zum Arier

Der Affenforscher und Tierlinguist Georg Schwidetzky (1875–1952), den ich hier unlängst präsentierte (TITANIC 05/08), war, wie ich jetzt feststellen durfte, überhaupt eine komische Figur. Neben den bereits genannten Büchern brachte er so schöne Werke wie »Lemurisch, Gibbonisch, Ureuropäisch« und »Pongonisch, Urdinarisch, Indogermanisch« zustande, präsentierte einer staunenden Öffentlichkeit den Gibbon als Urahn des Europäers und machte den Orang-Utan bzw. »Pongo«, der sich dem Ureuropäer beimischte, zu seinem Uronkel. Zur Veranschaulichung dieser starken Thesen brachte er dann Fotos und Bilder bei, die »Lang­gesicht und Hochstirn« bei Affe und Mensch »als rassisches Erbgut vom Tertiär her« deutlich machten, und setzte als endgültigen ­Beweis unter das Konterfei eines Deutschen: »Seine Lyrik enthält noch uraltes pongonisches Seelenerbgut.«

 

Ja, dieser gute Mann, der tatsächlich über die eigene Familienforschung auf den Affen kam und in seiner Zeit im damals kaiserlich-deutschen Bromberg durch den Kontakt mit dem Polnischen auf die Affensprachen verfiel, dieser Georg Schwidetzky beschrieb nicht nur eifrig Papier mit seinen steilen Theorien und gründete in Leipzig eine scheinseriöse »Deutsche Gesellschaft für Tier- und Ursprachenforschung«; sondern mit seiner jenseits allen gewohnten menschlichen Tagewerks liegenden Berufstätigkeit verwirrte er selbst die Nationalsozialisten, konnte weiter prachtvoll herumwissenschafteln und durfte unter ihrem Schutz und Schirm sogar eine große Ausstellung in die Welt setzen – obwohl er so nobel war, niemals einen niederen Affen oder nur Halbaffen als jüdische Großmutter der Menschheit dingfest zu machen; nein, auf die Judenfrage ging er nirgends ein.

 

Wohl aber auf die Arierfrage! Der Arier nämlich sei »im mittleren Europa von Frankreich bis Schlesien und Mähren« entstanden, also im Grunde – in Deutschland; und zwar, wie wir schon wissen, »aus den Gibbons Mitteleuropas«. Dann kam der Pongo hinzu: »Seelisch bedeutete die Zufuhr pongonischen Blutes die starke Zunahme der Ruhe, Vernunft und Nüchternheit. Die maulfaulen Pongonen brachten eine weitere Hemmung des Redeflusses, aber auch beharrliches Wägen und Planen.« Auch musizierten sie weit besser: »Zu der starren gibbonischen Tonleiter trat lockernd und befreiend der stark bewegte pongonische Gesang.« Als nächstes trat dann der »Papio« auf den Plan (»die grobe, noch auf allen Vieren gehende Urform der menschgewordenen Herrentiere«). Damit kam richtig Pfiff in die Sache, denn »die ­Papionen gaben dem Liede den festen Takt. Die nordische Musik wurde geboren. Es entstanden das schwere, wortkarge, kraftüberladene Götter-, Helden- und Liebeslied und die hart gemeißelte nordische Sage«, und »aus dem Naturtrieb der Papionen zur großen Kameradschaft entstanden die großen von Helden geführten Stämme.«

 

Wahrscheinlich war Schwidetzky, als er seine sogenannten Forschungen in dieser Weise dem arschbraunen Zeitgeist anpaßte, überhaupt nicht bewußt, daß er den Rassenquatsch der Nazis in Grund und Boden parodierte. Sicher ist aber, daß seine selbstfabrizierte Abstammungslehre das Gegenteil der nazistischen war. Von wegen Fuchs geht zu Fuchs, Gans geht zu Gans: »Jeder Tierzüchter kennt die Zauberkraft der Bastardisierung«, schrieb er, rühmte »die große, spielende, launische Formenbildnerin, die Mißehe«, und sagte »kurz und ohne Umschweife: Schon die Menschenaffen sind Bastarde der niederen Affen, die Menschenformen sind Bastarde der Bastarde. Je weiter die Bastardisierung geht, um so menschlicher wird das neue Wesen.«

 

Die vor einiger Zeit verbreitete Sensations­meldung, daß der Vormensch sich emsig mit dem Schimpansen gepaart habe: für ­Georg Schwidetzky wäre sie banal gewe­sen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt