Humorkritik | Februar 2008

Februar 2008

Die gute Lit’ratur

Von wem sind diese Zeilen? »Im Jura länglich liegen / schlanke und breite Höhn. Den Feen, / schneeweißen, zu vergleichen / sind wieder anderseits / gewalt’ge Berge, die man Alpen nennt, / weit und breit man sie kennt, / im Eisigtrotz’gen liegt ihr Reiz, / von ihrem Platze sie nicht weichen.« Wer macht aus einem »gegen« ein »ge’n«, damit der Versfuß paßt, und eine Blonde zur »Blunde«, damit sie sich auf »Seelenwunde« reimt? Kleiner Tip: Es ist Robert Walser.

 

Der war von Haus aus tatsächlich Lyriker, ließ sich 1898 mit seinen ersten Gedichten für die Literatur entdecken und kam auch später, als er längst in Prosa machte, immer wieder auf die Poesie zurück. Jenen unnachahmlichen Ton einer von zarter Ironie überwölbten Romantik, der seine Skizzen und Feuilletons einzigartig macht, sucht man in seinen lyrischen Hervorbringungen meist vergeblich; was seinen Geschichten den Schein raffinierter Naivität verleiht, wird im Gedicht oft zu reiner Einfalt. Und das ist gut so! Denn hinter der rumpelnden, pumpelnden Unbeholfenheit steckt eine absichtsvolle Unbekümmertheit, die Hochkünstlern wie Hofmannsthal und Stefan George eine lange Nase dreht und dem Formvollendeten und gewollt Bedeutsamen der Kunstlyrik plump und befreiend die Luft rausläßt.

 

Walser geht es mit dem Gedicht wie mit einem Zimmer: Es soll so schlicht wie möglich sein. »Stellt man zuviel hinein, / so wird ein Raum nur klein. / An Möbeln oder Bildern / vermag er zu verwildern. / Sofa, Bett, Stuhl und Schrank / machen seine Schlankheiten gleichsam krank. / Manche sonstige Sachen / im Zimmer sind zum Lachen«, sagt Walser in »Das möblierte Zimmer« und lehrt: »Das Zimmer an und für sich gibt dem Zimmer / genügend Qualität und Schimmer.« Die einfachen, manchmal wie hingeplapperten Sätze seiner Gedichte, dann, als Kontrastmittel, die überraschend steilen Vergleiche (so im »Arabien«-Gedicht: »Aus dem glühendgoldnen Sand / steigt wie eines Kindes Tand / die erquickliche Oase / wie die Blume aus der Vase«), vor allem aber die hinkende Metrik, die amateurhaften Inversionen (»Ich jetzt wohl rein zu nichts mehr tauge«, sagt der alte Vater im Gedicht »Der verlorene Sohn«) und die bedenkenlos weggelassenen Vokale (»eine flamm’nde Blüte« ist Walser so recht wie eine »Dek’ration«) – diese betonte Unkunst macht mit Freuden sich selber lächerlich und ebenso die weihevollen Produktionen einer sich wichtig machenden Großkunst.

 

»Ich fand die Frage Kerrs, ob zur Gedichtfabrikation ein Grad von Verblödung erwünscht sei, bemerkenswert«, so Walser 1926. »Im Begriff Blödsein liegt eben etwas Strahlendschönes und -gutes, etwas unsäglich Feinwertiges, etwas, das gerade die Intelligentesten sehnsüchtig gesucht haben und fernerhin sich zu eigen zu machen versuchen. Das Gedicht entspringt aus der Lust des Intellektbesitzers, auf eine große Portion hievon zu verzichten.« Weshalb ich nun auf weitere große Analysen verzichte.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt