Humorkritik | März 2007

März 2007

Verrickt

Wer sich über Ricky Gervais (Schöpfer und Star der Britcoms »Extras« und »The Office«) informieren möchte, kann schon beim Googeln in etwa erfahren, daß Ricky Gervais als Sohn einer Engländerin und eines Franco-Kanadiers geboren wurde, gemeinsam mit späteren Coldplay-Mitgliedern studierte, als Popmusiker und -manager dilettierte, fürs Radio arbeitete und dort einen gewissen Sacha Cohen (i. e. Ali G. bzw. Borat) zum Kollegen hatte, Stephen Merchant traf, der dreizehn Jahre jünger ist, sich aber im Autorenteam als der Reifere und Ruhigere profilierte. Und es war auch Stephen Merchant, der sich bei der BBC als Producer-Trainee bewarb, in dieser Funktion eine Dokumentarfilm-Parodie über einen schmierigen Chef drehte, der von Ricky Gervais verkörpert wurde, was – über einige Umwege – zur Serie »The Office« führte, die erst ein bißchen, dann aber sehr erfolgreich wurde, in den USA besonders bei Branchengrößen gut ankam, was bewirkte, daß Gervais und Merchant für »Extras« auch Hollywood-Größen als Gaststars verpflichten konnten usw. usf. Daneben Stand-up-Comedy, Wohltätigkeitsveranstaltungen und Kinderbücher. Die Bewunderung, die Ricky Gervais für Kollegen wie Matt Groening (Simpsons), Larry David (Seinfeld) und Christopher Guest (Spinal Tap) hegt, erklärt sich schon aus dem Werk.

Nun ist die erste Biographie über Ricky Gervais erschienen: »The Story So Far…« von Michael Heatley (Michael O’Mara Books, London). Im Buch findet man genau dieselben Informationen, auf die man auch im Internet stoßen würde, fairerweise meist mit Quellenangaben. Auf gut zweihundert Seiten ist so ziemlich alles zusammengetragen, was über Ricky Gervais im Umlauf ist; zwecks Buchumfangsvergrößerung werden auch die Inhalte einzelner Folgen der TV-Serien referiert. Die Fleißarbeit fällt durch konsequente Humorlosigkeit auf; die einzige Stelle im Buch, die zum Lachen reizt, sind die Fotos des jungen Ricky Gervais, die ihn als Mitglied des kurzlebigen New-Romantic-Duos Seona Dancing zeigen.

Michael Heatley hielt es für angeraten, auf dem Schutzumschlag darauf hinzuweisen, daß er für ein Buch über die Rolling Stones mal die Diskographie zusammengestellt hat. Unabhängig von der Kompetenz des Biographen stellt sich die Frage, was ein Buch über einen Mittvierziger, der zwei erfolgreiche Fernsehserien, ein Kinderbuch und ein paar Gastauftritte in Filmen hingelegt hat, überhaupt soll: für eine Würdigung des Lebenswerkes ist es definitiv noch zu früh. Und ein Schnellschuß, mit dem Autor und Verlag vom Erfolg des Stars profitieren wollen, bevor er werweiß verglüht, rückt Ricky Gervais in die Nähe von Kalibern wie Daniel Küblböck. Und das ist eine Unangemessenheit von geradezu David Brentschem Format.

 

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt