Humorkritik | September 2006

September 2006

Hunde in Hefe

Als rekordverdächtiges Beweisstück für die These, daß getretener Quark eher breit denn stark wird, erscheint mir der Bestseller »Rudernde Hunde« von Elke Heidenreich und Bernd Schroeder (Fischer Taschenbuch). Abwechselnd werden die Schnurren dieser zweihundertseitigen Sammlung aus Frauen- und Männerperspektive erzählt, so daß es zunächst naheliegt, jeden Text je einer Hälfte des Autorenduos zuzuordnen. Unglücklicherweise scheint jedoch die Kooperation recht eng ausgefallen zu sein. Die charakteristischen Unarten blühen allenthalben und durchgängig: jene – die grassierende Rundfunk- und Fernsehnettigkeit noch toppende – geradezu frenetische Harmlosigkeit der Sujets; eine Rotweinfahne, wie sie einem sonst allenfalls aus den Kontaktanzeigen der Zeit entgegenweht; schließlich die erwähnte Geschwätzigkeit, die als gutenachtgeschichtenmäßiger Erzählton kostümiert daherkommt.

Ob ein alter Witz auf zweieinhalb Seiten gestreckt wird (»Liebesgeschichte«), ob die persönliche Ikea-Biografie als XXL-Comedy-Monolog von sechs Seiten daherkommt – die Hefeteig-Texterei ist Programm. Den diesbezüglichen Hit freilich bilden jene vierundzwanzig Seiten, die der Erzähler angeblich seinem Kind vorträgt: Keine drei Seiten davon würde ein realer Sprößling über sich ergehen lassen.

Kinder, so erzählte mir neulich eine Schloßführerin, wollen als Erwachsene behandelt werden, Erwachsene dagegen ordern die Kinderführung, angeblich für ihre Kleinen, in Wahrheit für sich selbst. So auch hier: Der pseudo-kindgerechte Ton des Büchleins taugt einzig dazu, Guterzieher in ihrem Selbstverständnis zu bestätigen; und allenfalls noch zu einem weiteren Zweck, und der ist für mich tatsächlich mit einer Kindheitserinnerung verknüpft: Meine Tante, eine gestreßte Ärztin, las im Ferienhaus ein damals modernes Taschenbuch, eine Anleitung zum Diagonallesen mit praktischen Übungen. Dieses Buch wird durch Heidenreich-Schröders Werk vollauf ersetzt, ich hab’s getestet. Einen Satz pro Seite aufzunehmen reicht völlig – gestreßte Ärzte der Welt, greift zu!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt